Lehrlingsmangel in der Schweiz«Die Lehrlinge müssten bei uns Schlange stehen»
Im Sommer ist Lehrbeginn – und Tausende Lehrstellen sind noch unbesetzt. Ein Schweizer Metzger erzählt von der schwierigen Suche nach Auszubildenden.
Noch ist Christoph Jenzer vom gleichnamigen Fleisch- und Feinkostgeschäft einigermassen gelassen. Eine von drei offenen Lehrstellen für den Ausbildungsbeginn im Sommer 2017 konnte er besetzen. Zwei Stellen für die Lehre als Fleischfachmann oder Fleischfachfrau sind noch frei. «Jetzt ist schon Juni, also sind es nur noch zwei Monate bis Lehrbeginn», rechnet Jenzer im Gespräch mit 20 Minuten vor – und klingt nun doch ein bisschen besorgt.
Jenzer ist Chef eines mittelgrossen Metzgereibetriebs mit drei Filialen in der Region Basel und beschäftigt 70 Mitarbeiter. Er denkt gern in Zahlen und Modellrechnungen. «Nur wenn ich pro Jahr ein oder zwei Lehrlinge ausbilde, kann ich meinen Stand an ausgebildeten Mitarbeitern langfristig halten.» Der 49-Jährige wurde im vergangenen Herbst zum Lehrmeister des Jahres gewählt. Jammern über den Lehrlingsmangel will er nicht, aber manchmal wundere er sich schon, sagt er: «Bei einem Betrieb, der so viel Wert auf Ausbildung und Talenteförderung legt, müssten die Jugendlichen doch eigentlich Schlange stehen.»
«Handwerk ist einfach nicht sexy»
Geeignete Bewerber zu finden, war für die Metzgerei schon in den vergangenen Jahren nicht immer leicht. Es habe auch schon Jahre gegeben, in denen eine Lehrstelle überhaupt nicht besetzt habe werden können, so Jenzer. «Und auch in den guten Jahren war es nicht so, dass ich aus zehn Bewerbungsdossiers hätte auswählen können.»
Nach den Gründen gefragt, formuliert es der Metzgereichef so: Handwerkliche Jobs seien «einfach nicht so sexy», das Image der Berufsleute von vielen Vorurteilen belastet. «Wenn ich früher im Ausgang war und erzählte, dass ich Metzger bin, sind meine Chancen beim anderen Geschlecht rapide gesunken.»
Auch die Eltern von potenziellen Bewerbern seien oft überkritisch gegenüber einer Lehre zum Fleischfachmann. Er habe schon einige Male erlebt, dass Mütter oder Väter ihrem Nachwuchs explizit von einer Lehre abraten. «Sie denken, wenn man sich schon mit 15 oder 16 für eine berufliche Richtung entscheidet, landet man in einer Sackgasse.»
Frauen gesucht – mit pinkfarbenem Inserat
Darum weist die Metzgerei Jenzer in ihren Lehrstellen-Inseraten explizit auf die Möglichkeit hin, parallel zur Grundausbildung die Berufsmatur zu absolvieren. «Damit stehen den Jungen nach der Lehre alle Wege offen.» Ein Plus sei auch, damit Bewerber mit höherem Intellekt abzuholen.
Dieses Jahr würde Jenzer eine seiner drei Lehrstellen gern mit einer Frau besetzen. Der Grund: Gesamtschweizerisch liege der Frauenanteil bei den Fleischveredlern bei 80 Prozent. Der Metzger hat bereits einen Plan, wie er die Suche nach einer weiblichen Lernenden angehen will: Nächste Woche schaltet er ein Stelleninserat in Pink. «Wir geben jetzt Vollgas, um die jungen Frauen anzusprechen.»
Serie «Deine Lehre»
In der Schweiz sind hochgerechnet 23'500 Lehrstellen noch nicht besetzt. 20 Minuten widmet dem Thema eine mehrteilige Serie und lässt in den kommenden Ausgaben verschiedene Akteure zu Wort kommen – vom Lehrmeister, der vergeblich nach passenden Kandidaten sucht bis zum Lehrling, der trotz des Überangebots an Ausbildungsplätzen keine Stelle findet.