«Wir verkauften IT, die der Bund nicht brauchte»

Aktualisiert

Seco-Skandal«Wir verkauften IT, die der Bund nicht brauchte»

Ein Informatiker des Bundes liess sich für IT-Aufträge schmieren: mit edlem Wein oder VIP-Reisen. Und sogar sein Schützenverein profitierte, sagt ein Insider zu 20 Minuten.

S. Spaeth
von
S. Spaeth
Aufgrund der Vorwürfe hat Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann im Seco eine Administrativuntersuchung eingeleitet.

Aufgrund der Vorwürfe hat Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann im Seco eine Administrativuntersuchung eingeleitet.

Wenn es um Informatikaufträge des Bundes geht, ist immer viel Geld im Spiel. IT-Verantwortliche verfügen über Millionenbudgets, die sie – wenn richtig gestaffelt – unter der Hand vergeben können: Aufträge von aktuell unter 230'000 Franken bedürfen keiner öffentlichen Ausschreibung. Ein weiterer Trick: Neubeschaffungen wurden als Projekterweiterungen ausgegeben, um die öffentliche Ausschreibung zu umgehen.

Nun berichtet der «Tages-Anzeiger» von einem mutmasslichen Korruptionsfall im Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Ein Ressortleiter* habe sich für Auftragsvergaben mit Geschenken im Wert von Zahntausenden von Franken bezahlen lassen. Im Zentrum steht ein Schweizer IT-Dienstleister* mit Ablegern in mehreren Schweizer Städten. Die Firma soll vom besagten IT-Verantwortlichen Aufträge erhalten haben – teilweise zu überhöhten Konditionen.

«Im Zuge der Berichterstattung um vermutliches Fehlverhalten eines Kadermitarbeiters des Seco wurden wir über laufende Administrativuntersuchungen des Bundes in Kenntnis gesetzt», lässt die Firma auf Anfrage von 20 Minuten ausrichten. Man sei selbst an einer lückenlosen Aufklärung der Sachverhalte interessiert und habe eine interne Überprüfung eingeleitet.

Aufträge abgeholt

Ein Insider – nennen wir ihn Q – erzählt 20 Minuten, die Firma habe Dienstleistungsverträge mit den Seco-Verantwortlichen abgeschlossen, die nie eingehalten worden seien. Wie eng die Verantwortlichen verbündet waren, zeigt auch diese Aussage: Gegen Jahresende sei man jeweils beim Seco-Verantwortlichen vorstellig geworden und habe «Aufträge abgeholt»

Nicht mit rechten Dingen soll es auch bei den Hardware-Verkäufen zugegangen sein. Man habe dem Seco Hardware des Herstellers IBM zu überhöhten Preisen verkauft und Rabatte nicht weitergegeben. Als sogenannter IBM-Business-Parter genoss der IT-Dienstleister Rabatte bis 70 Prozent. Diese Vergünstigungen hätte man laut den IBM-Anordnungen aber zwingend an das Seco weitergeben müssen, erzählt Q.

Bei IBM heisst es auf Anfrage, dass die Business-Partner in der Regel frei seien in der Preisgestaltung. Sonderrabatte müssten aber an den Endkunden weitergegeben werden. Sollten die Firmen die Preisnachlässe selbst einstreichen, könne das zu einer Kündigung des Wiederverkäufervertrages führen.

WM-Festli im Schützenverein

In der Firma hätten die Mitarbeiter von den Verbandlungen mit dem Seco gewusst, sagt Q. Dokumentiert seien die Deals in Unterlagen gewesen, die der Geschäftsführer in für normale Mitarbeiter nicht zugänglichen Räumen eingeschlossen habe. Für die Übergabe von Geschenken – teurem Wein oder Elektronik-Artikeln – habe man sich auf Autobahnraststätten getroffen.

Q erinnert sich aber auch an einen Vorfall im Jahr 2006, kurz vor der Fussball-WM in Deutschland. Der IT-Mann des Seco fuhr bei der Informatikfirma mit dem Lieferwagen vor und bezog als «Gegengeschäft» Beamer, Grossleinwand und eine Bier-Ausschankanlage – Equipment fürs «Public Viewing» im Schützenverein. Der IT-Leiter selbst sei hingegen zu einer WM-VIP-Reise nach Deutschland eingeladen worden. «Die Flüge und das Hotel sind bereits auf deinen Namen gebucht», zitiert der «Tages-Anzeiger» aus einer Email des Direktors der IT-Firma.

Weshalb kein Berater?

Einer der Drahtzieher sei ein Schweizer Geschäftsführer* gewesen, der im Herbst 2013 aus dem Unternehmen ausgeschieden ist. Der zweite Drahtzieher ist seit Anfang Jahr für eine Zweigstelle der Firma in Asien tätig. Die E-Mail, worin ihn 20 Minuten mit den Vorwürfen konfrontiert, hat der IT-Manager zwar gelesen, aber nicht beantwortet.

Laut Q haben mindestens der besagte Ressortleiter sowie sein Stellvertreter von den Machenschaften gewusst. Auf welchen Betrag beläuft sich das Auftragsvolumen an die Schweizer IT-Firma? Und weshalb hat der Bund keinen externen Berater hinzugezogen, wie es bei vielen Informatikgeschäften üblich ist? Das wahrscheinlichste Szenario: Der Consultant hätte die Mauscheleien wohl aufgedeckt. Auf Aufrage heisst es beim Seco, man könne Aufgrund der laufenden Untersuchung keine Angaben machen.

Eine Grössenordnung zur Geschäftsbeziehung zwischen dem Bund und der besagten Firma geben folgende von 20 Minuten recherchierte Zahlen: Die IT-Firma hat 2013 vom Seco öffentlich ausgeschriebene Dienstleistungsaufträge im Wert von rund 7,7 Millionen Franken gewonnen.

* Name(n) der Redaktion bekannt

Zuger Finanzkontrolle untersucht

Laut einer Medienmitteilung des Kantons Zug hat der Finanzdirektor Peter Hegglin Hinweise, dass das Zuger Amt für Informatik und Organisation (AIO) in den Korruptionsskandal beim Seco verwickelt sein könnte. Auf einem Zahlungsbeleg der betroffnen Informatikfirma sei handschriftlich das AIO vermerkt. Aufgrund des Sachverhaltes, der im Artikel des «Tages Anzeiger» dargestellt wird, und aufgrund der telefonischen Ausführungen des Journalisten ist es nicht ausgeschlossen, dass Organisationseinheiten und Mitarbeitende des Kantons Zug involviert sind, schreibt Hegglin. Die Finanzdirektion hat deshalb entschieden, den Sachverhalt zu untersuchen. Beauftragt wurde dafür die Kantonale Finanzkontrolle. (sas)

Millionen ohne öffentliche Ausschreibung

Bereits vor zwei Wochen wurde bekannt, dass das Seco in den Jahren 2009 bis 2011 Aufträge im Umfang von 34 Millionen Franken ohne öffentliche Ausschreibung vergeben hatte. Dies, obwohl der Wert der einzelnen Aufträge jeweils über dem Schwellenwert für freihändige Vergaben lag.

Der Vorwurf der widerrechtlichen Beschaffung war auch beim gestoppten Informatikprojekt Insieme der Eidgenössischen Steuerverwaltung erhoben worden. Eine im November 2012 eingesetzte Arbeitsgruppe soll dies untersuchen. (sda)

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