Sinken jetzt die Schweizer Spritpreise?

Aktualisiert

Preiskollaps beim ÖlSinken jetzt die Schweizer Spritpreise?

Erstmals rutschte der Preis für ein Fass US-Rohöl ins Minus. Das werden auch die hiesigen Autofahrer im Portemonnaie spüren. Die wichtigsten Antworten zum historischen Preiszerfall.

Dominic Benz
von
Dominic Benz
In vielen Ländern droht eine Überschreitung der Lagerkapazitäten: Erstmals seit Aufnahme des Future-Handels im Jahr 1983 fällt der Preis für US-Rohöl ins Minus.
Einerseits zeigt dies, wie stark Angebot und Nachfrage derzeit am Ölmarkt auseinanderfallen.
Andererseits handelt es sich um ein sehr spezielles Phänomen, bedingt durch den an diesem Dienstag verfallenden Mai-Terminkontrakt auf US-Öl.
1 / 9

In vielen Ländern droht eine Überschreitung der Lagerkapazitäten: Erstmals seit Aufnahme des Future-Handels im Jahr 1983 fällt der Preis für US-Rohöl ins Minus.

Die Ölpreise sind weiter auf Talfahrt. Am Montag rutschte der Preis für ein Fass mit US-Öl erstmals ins Minus. Innerhalb eines Tages ist der Preis um über 300 Prozent auf rund minus 40 Dollar abgesackt. «Der tiefe Ölpreis in den USA ist dramatisch», sagt ZKB-Rohstoffexperte Simon Lustenberger zu 20 Minuten.

Was sind die Gründe für den Preiszerfall? Und wird jetzt für Autofahrer der Sprit an Schweizer Tankstellen günstiger? Die wichtigsten Antworten:

Was ist passiert?

Der Ölpreis wird durch den Handel von sogenannten Kontrakten oder Futures bestimmt. Bei diesen Papieren verpflichtet sich der Verkäufer von Öl, eine festgelegte Menge zu einem festen Preis und Termin zu liefern. Am Montag ist nun der Preis für einen Kontrakt des US-Leichtöls (WTI), der eine physische Öllieferung im Mai vorsieht, ins Minus gerutscht. Anders gesagt: Kaufte man sich ein US-Ölfass mit Lieferung im Mai, erhielt man dafür noch Geld. Das gab es seit der Aufnahme des Future-Handels im Jahr 1983 noch nie. Auch die Preise für andere Ölsorten sanken, notierten aber immer noch in der Pluszone. Die europäische Nordseesorte Brent etwa kostete am Montag 26,50 Dollar pro Barrel, was einem Fass von 159 Litern entspricht. Seit Anfang Jahr sind die Ölpreise gut um die Hälfte zusammengesackt.

Warum sinken die Preise?

Am Ölmarkt hat sich wegen der Corona-Krise eine giftige Mischung zusammengebraut. So ist die Nachfrage nach Öl am Boden, weil die Wirtschaft in vielen Ländern praktisch stillsteht, Flugzeuge am Boden bleiben und Firmen ihren Betrieb heruntergefahren haben. Das hat zwangsläufig eine rückläufige Öl-, Benzin- und Dieselnachfrage zur Folge. Gleichzeitig gibt es weltweit ein massives Überangebot an Öl. Besonders in den USA ist die Lage prekär. «Die US-Lagerhäuser sind randvoll. Die Auslastung liegt derzeit bei rund 80 Prozent. Anfang Mai dürften sie voll sein», sagt ZKB-Experte Lustenberger. Auch in anderen Ländern ist die Situation angespannt. «Die Lagerknappheit ist aber noch nicht so ausgeprägt wie in den USA.»

Was bedeutet der Preiszerfall?

Laut Lustenberger sieht es für die US-Ölförderer düster aus. Wegen des Überangebots seien viele Firmen dazu gezwungen, ihre Produktion herunterfahren oder gar einzustellen. Weil die Förderung enorm teuer ist und die Firmen mit dem Öl kaum noch etwas verdienen, lohne sich die Produktion derzeit oft nicht. Für den Experten ist klar: «Es wird Konkurse geben und zu einer Bereinigung am Ölmarkt kommen.» Denn eine so hohe Überproduktion könne man nicht über Monate weiterführen. Bleibe die Nachfrage weiter so tief, gebe es nur eine Lösung: eine dramatische Drosselung der Fördermengen.

Wird jetzt das Tanken günstiger?

Laut Agrola dürfte der Sprit an den Tankstellen günstiger werden. «Die Preise werden sinken, allerdings zeitlich verzögert», sagt Sprecherin Nadine Schumann-Geissbühler zu 20 Minuten. Um wie viel, könne man aber nicht vorhersagen. Da die Rohöl-Lagerbestände weltweit sehr hoch seien, werde der Druck auf die Preise aber weiterhin bestehen. Auch Migrol teilt mit, dass die Preise bei Benzin und Diesel noch einmal sinken könnten. Allerdings müsse man zuerst die zu höheren Preisen eingekauften Warenbestände verkaufen. «Das wird aber angesichts des Nachfrageeinbruchs bei den Konsumenten noch dauern», so Sprecher Daniel Hofer.

Zurückhaltender gibt sich BP: Preisveränderungen am Rohölmarkt schlagen sich prozentual immer nur in abgeschwächter Form beim Treibstoffpreis an der Tankstelle nieder. Das gilt sowohl für Preisschwankungen nach unten als auch für solche nach oben, sagt Sprecher Peter Kretzschmar. Auch die Erdölvereinigung Avenergy relativiert (siehe Box).

Wie hat sich der Spritpreis entwickelt?

Bereits seit dem Corona-Lockdown in der Schweiz Mitte März sind die Spritpreise gefallen. Gemäss Bundesamt für Statistik lag der durchschnittliche Preis für einen Liter Bleifrei 95 im Februar – also noch vor dem Schweiz Corona-Lockdown Mitte März – noch bei 1.55 Franken. Im März sank er auf 1.49 Franken. Derzeit kostet der Sprit an den Schweizer Tankstellen im Schnitt 1.42 Franken, wie der Touring Club Schweiz (TCS) angibt. Auch Diesel ist seit Februar im Schnitt von 1.67 auf 1.50 Franken gefallen.

Wie entwickelt sich der Ölpreis in den nächsten Monaten?

Am Dienstag hat sich die Lage am US-Ölmarkt etwas beruhigt. Das Ölpapier für Lieferungen im Mai stieg wieder leicht ins Plus und kostete wieder etwas mehr als einen Dollar. Die Kontrakte laufen heute aus. Daher wird sich nun alles um die Preise für die Juni-Lieferungen drehen. Diese Preise liegen derzeit bei rund 20 Dollar. Das zeigt, dass die Händler für künftige Lieferungen zuversichtlicher als jetzt sind. Das könnte sich aber schnell ändern. «Wenn es keine Marktbereinigung im US-Ölmarkt gibt, wird auch der Juni-Kontrakt sinken», sagt ZKB-Experte Lustenberger. Insgesamt geht er davon aus, dass die Ölpreise im zweiten Halbjahr wieder auf rund 30 Dollar ansteigen. «Ein grosser Anstieg auf ein Niveau wie im letzten Jahr dürfte es nicht geben.»

So setzt sich der Ölpreis zusammen

Laut der Erdölvereinigung Avenerfy würden sich die Schweizer Preise traditionellerweise auf verhältnismässig konstantem Niveau bewegen, so Sprecher Daniel Schindler auf Anfrage. Massive Preisschwankungen an den Zapfsäulen gebe es selbst bei internationalen Krisen etwa in den Fördergebieten nur in geringem Ausmass. «Das liegt daran, dass der Benzinpreis in der Schweiz nur zu einem sehr geringen Teil vom Rohölpreis bestimmt wird.» Viel entscheidender seien Mineralölsteuer, Mineralölsteuerzuschlag und Importabgaben. «Die staatlichen Abgaben machen mehr als die Hälfte des Benzinpreises aus.» Hinzu kämen Vertriebs-, Beschaffungs- und Frachtkosten. Ausserdem würde die Schweiz nur zu rund 10 Prozent Öl aus den USA beziehen.

Deine Meinung zählt