So sieht der Supermarkt der Zukunft aus

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Nackte LebensmittelSo sieht der Supermarkt der Zukunft aus

In Berlin sagen zwei junge Frauen dem Müll den Kampf an. Sie planen den ersten Supermarkt, der ganz ohne Verpackungen auskommt. 20'000 Euro fehlen noch zur Realisierung.

von
C. Landolt

Äpfel in mit Plastik überzogenen Kartonagen, Säfte in Tetrapaks und auch Reis, Nudeln oder Mehl in Papierpackungen im Regal. Kennen wir doch. Bloss: Nach dem Einkauf ist der Abfallkübel fast so voll wie der Kühlschrank.

Entsprechende Zahlen liefern den Beweis. Pro Jahr produziert jeder Schweizer jedes Jahr 709 Kilogramm Müll für die Kehrichtverbrennung. Das entspricht rund 70 35-Liter-Kehrichtsäcken, wie eine Erhebung des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) von 2012 ergab. Die Schweiz liegt damit noch vor Deutschland (564 kg/Person) im Spitzenfeld, das von Dänemark mit 801 Kilogramm angeführt wird.

Vorbeugen statt Nachsorgen

«Anstatt die Welt zu bereichern, machen wir sie voller», sagen Sarah Wolf und Milena Glimbovski vom Start-up Original Unverpackt. «16 Millionen Tonnen Verpackungen wandern jedes Jahr allein in Deutschland in den Müll.» Die Frauen wollen genau das ändern und im Sommer den ersten Original-Unverpackt-Laden in Berlin-Kreuzberg eröffnen. In ihrem Laden soll auf Einwegverpackungen verzichtet werden. Statt Recycling streben die Geschäftsführerinnen das sogenannte Precycling an. Schliesslich müssen Verpackungen, die erst gar nicht im Umlauf gebracht werden, auch nicht aufwendig recycelt werden.

Da wird also anders eingekauft. Bezahlt wird im neuen Laden nur für die eigentlichen Produkte, nicht für die Verpackungen. Statt endlos langer Regalreihen soll es ausgewählte Produkte in Vorratsgefässen zum Selbstabfüllen geben. Man kann sich auch eigene Behälter mitbringen, um Waren wie Zucker, Mehl, aber auch Marmelade und sogar Shampoo abzufüllen. Milch und Öl könnten wie in einer Saftbar ausgeschenkt werden. Durch den Wegfall von Verpackungen sollen Ressourcen wie Erdöl und Wasser, die für die Produktion notwendig sind, eingespart werden. Und auch für den Konsumenten gibts ein Plus: Man kann nur die Mengen kaufen, die man wirklich braucht. Oft ist das nur ein Teelöffel für ein Rezept statt eine ganze Dose.

Gut bestücktes Sortiment

Auf die Idee kamen Milena und Sara, als sie an einem Abend zusammen gekocht haben, damals waren sie noch Arbeitskolleginnen in einer Agentur. «Plastiktüten zum Transportieren nehmen wir schon länger keine», sagt Sara, «aber das ist ja nicht alles. Als wir nach dem Einkaufen die ganzen Tütchen und Dosen ausgepackt haben, sprachen wir darüber, wie unsinnig das ist. Manche packen ja auch noch die Avocado oder die drei Tomaten in eine Extratüte.»

Doch wer nun glaubt, die beiden Unternehmerinnen wollten lediglich einen Quartierladen eröffnen, der täuscht sich: «Wir planen ein Vollsortiment mit gut ausgewählten Produkten, einen Laden, in dem du wirklich fast alles erhältst, was du brauchst», schreiben die Unternehmerinnen auf ihrer Website. Mehr als 600 Produkte sollen angeboten werden. Nicht nur Bio wollen sie im Sortiment aufnehmen, auch konventionelle Produkte für den kleineren Geldbeutel sollen es sein – bloss ohne die überflüssige Verpackung.

Über Crowdfunding helfen

Das Team befindet sich mit dieser Idee auf der Zielgeraden. Wolf und Glimbovski sind derzeit auf der Suche nach geeigneten Lieferanten und einem Ladenlokal in Berlin-Kreuzberg. 20'000 Euro fehlen noch, um den ersten Laden eröffnen zu können. Diese sollen über Crowdfunding finanziert werden. Spenden sind ab acht Euro möglich.

Die Idee eines verpackungsfreien Supermarktes gibt es übrigens schon länger. Die Londonerin Catherine Conway betreibt seit 2007 das Lebensmittelgeschäft Unpackaged in der englischen Hauptstadt. In Austin/Texas haben drei Brüder 2012 ihren Lebensmittelladen In.Gredients eröffnet. Sie verkaufen ausschliesslich Produkte aus der Region und ebenfalls alles ohne Verpackung. Für die Idee wurden die Frauen von Original Unverpackt schon mehrfach ausgezeichnet. Und sie liegt im Trend: Der deutsche Verfahrenstechniker und Chemiker Michael Braungart, ein grüner Pionier der ersten Stunde, findet diese Idee, die Wegwerfgesellschaft zu revolutionieren, bestechend. Schliesslich würden die Produzenten die Verantwortung, mit den Dingen richtig umzugehen, auf die Konsumenten schieben, nur weil die Produkte das falsche Design hätten, erklärte er in einem Interview mit dem Gottlieb-Duttweiler-Institut in Rüschlikon. «Man nimmt den Kunden als Geisel, nur weil die Hersteller und der Handel zu dumm sind,

Produkt und Verpackung richtig zu gestalten.»

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