Wenn Mitarbeiter einfach verschwinden

Aktualisiert

GhostingWenn Mitarbeiter einfach verschwinden

Einfach nicht mehr beim Job erscheinen – das sogenannte Ghosting verbreitet sich. Experten warnen vor einem solchen Verhalten.

von
Dominic Benz
Das aus der Dating-Welt bekannte Ghosting ist in der Arbeitswelt angekommen.
Mit Ghosting meint man den plötzlichen Abbruch jeglichen Kontakts. Das kommt auch in der Arbeitswelt vor.
Die US-Notenbank weist in ihrem Konjunkturbericht aus dem November darauf hin, dass etliche Firmen sich über Arbeitnehmer beschweren, die von einem Tag auf den anderen dem Job ferngeblieben und spurlos verschwunden sind.
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Das aus der Dating-Welt bekannte Ghosting ist in der Arbeitswelt angekommen.

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Auf Dating-Plattformen ist es ein weit verbreitetes Phänomen: Ghosting. Darunter versteht man den plötzlichen Kontaktabbruch zum potenziellen Partner ohne eine Erklärung. Nun taucht das Verhalten in der Arbeitswelt auf.

Die US-Notenbank FED weist in ihrem Konjunkturbericht vom November darauf hin, dass etliche Firmen sich über Arbeitnehmer beschweren, die von einem Tag auf den anderen dem Job ferngeblieben und spurlos verschwunden sind. Auch in Japan ist das Phänomen verbreitet – und wird gar zu einem Geschäft, wie die BBC schreibt.

Firma mit Kündigungsservice

So bietet das Start-up Exit für eine Gebühr von umgerechnet rund 460 Franken einen massgeschneiderten Kündigungsservice an. Er soll Angestellte entlasten, die von heute auf morgen nicht mehr arbeiten wollen und sich vor dem Gespräch mit dem Chef drücken. Dieses übernimmt dann die Firma.

An Aufträgen mangelt es nicht. Exit hat laut eigenen Angaben in den letzten eineinhalb Jahren über 1500 aufgetragene Kündigungen vollzogen. Firmen-Gründer Yuichiro Okazaki vermutet, dass es in Japan rund 30 Unternehmen gibt, die einen ähnlichen Service anbieten.

Sind Sie plötzlich nicht mehr am Arbeitsplatz erschienen? Warum und welchen Grund haben Sie genannt?

Tod vorgetäuscht

In einem Fall hat eine beauftragte Firma gar den Tod des plötzlich verschwundenen Mitarbeiters vorgetäuscht. Die Lüge wurde allerdings kurze Zeit später entlarvt. Zwar sei das ein extremer Fall, schreibt die BBC. Dennoch scheine der abrupte Kontaktabbruch zum Arbeitgeber auf dem Vormarsch zu sein. Vor allem dann, wenn jemand nicht seine Kündigungsfrist absitzen will, weil er bereits einen neuen Job gefunden hat.

Bekannt war bisher, dass sich Firmen etwa nach Bewerbungsgesprächen oder gar nach einem Probetag plötzlich nicht mehr beim Bewerber melden. Dass Angestellte sich so verhalten, ist eher neu. Wie Chris Gray vom Personaldienstleister Manpower zu BBC sagte, sei das ein Symptom für den boomenden Arbeitsmarkt in Industrieländern. Besonders die niedrige Arbeitslosenrate in den USA und Grossbritannien erlaube es den Arbeitnehmern, «einfacher auf ein anderes Pferd zu setzen».

«Ehrlich währt auch hier am längsten»

In der Schweizer Arbeitswelt scheint Ghosting noch kein Trend zu sein (siehe Interview). Personalexperte Matthias Mölleney kennt zudem keine Firma hierzulande, die einen Kündigungsservice anbietet. Allerdings gebe es in Europa den Trend, dass man nicht mehr fest angestellt sein wolle. «Vor allem Jüngere und auch qualifizierte Fachkräfte wollen häufig stundenweise bezahlt werden», sagt er zu 20 Minuten. Sie wollten dadurch mehr Freiheiten haben und nur dann arbeiten, wenn sie Lust dazu hätten.

Der Personalexperte Michel Ganouchi von der Firma Recruma rät davon ab, einfach der Arbeit fernzubleiben. Wer schnell von einem Arbeitgeber wegwolle, solle kündigen und hoffen, dass man schnellstmöglich freigestellt werde. «Das ist aber eher selten und abhängig von der Funktion, die man ausführt», so Ganouchi. Ein direktes Gespräch mit dem Vorgesetzten oder der Personalabteilung, in der man seine Situation transparent schildert, sei immer noch die beste Lösung. Vielleicht finde man eine Einigung, etwa in Form eines Aufhebungsvertrags, der beide Seiten gleichermassen zufriedenstellt. «Ehrlich währt auch hier am längsten», so der Experte.

«Es gibt keinen Grund, der ein solches Handeln rechtfertigt»

Herr Ganouchi*, kommt es oft vor, dass Mitarbeiter nicht mehr auftauchen?

Das wäre mir neu und passt nicht zu unserer Auffassung von Arbeit und Pflichtbewusstsein. Das ist ein kultureller Aspekt, der gerade in der Schweiz sehr hoch gehalten wird. Ausserdem: Man begegnet sich immer zweimal - auch im Job.

Warum machen das die Mitarbeiter?

Es müssen schon absolute Ausnahmesituationen sein, dass so etwas vorkommt. Ein privates Ereignis, psychische Überbelastung, Mobbing, ein schwieriges Verhältnis zum Vorgesetzten oder ein schlechtes Gewissen sind wohl mögliche Gründe. Keiner davon rechtfertigt aber ein solches Handeln.

Was wären die Konsequenzen?

Der Arbeitgeber wird in der Regel das Gespräch suchen und die Situation lösen wollen. Es ist anzunehmen, dass der Arbeitgeber danach auch nicht mehr auf die Dienste einer solchen Person zählen wird. Es handelt sich um einen drastischen Vertrauensbruch.

*Michel Ganouchi ist Personalexperte bei der Firma Recruma

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