Schulden, Konkurse, GesundheitIst der Lockdown überhaupt gerechtfertigt?
Kann sich die Schweiz den Lockdown überhaupt leisten? ZHAW-Ökonom Tilman Slembeck über die Schäden der Coronavirus-Krise und deren Verhältnismässigkeit.
Herr Slembeck, der Bund schnürt immer grössere Massnahmenpakete für die Wirtschaft – wie lange kann sich die Schweiz den Lockdown noch leisten?
Das kann man so nicht sagen. Das Geld wird dem Bund nicht so schnell ausgehen – er hat Reserven und kann am Markt oder bei der Nationalbank sehr günstig Geld aufnehmen. Wenn die Krise andauert, könnte sich der Staat im Prinzip weiter verschulden. Aber der Lockdown verursacht der Wirtschaft riesige Schäden.
Wen triffts am härtesten?
Kleine Firmen, Selbstständige und Freischaffende. Die werden reihenweise in Konkurs gehen, wenn der Lockdown länger dauert. Da helfen auch Liquiditätskredite wenig.
Warum?
Bestimmte Firmen können ihnen entgangene Geschäfte nicht nachholen und es fehlen die Einnahmen. Die Leute gehen nach dem Lockdown nicht zweimal am Tag ins Restaurant, weil sie einen Monat lang gar nicht konnten.
Und was spürt die Bevölkerung davon?
Die Arbeitslosigkeit wird steigen und die Einkommen sinken. Den Steuerzahler trifft auch die Verschuldung des Staats: Einerseits könnten die Steuern steigen, um den Schuldenberg abzutragen. Andererseits wird der Staat weniger Mittel haben, zum Beispiel für Bildung und Infrastruktur.
Wird es Nachbeben geben?
Ja. Welche sozialen Schäden der Lockdown verursacht und wie hoch die Gesundheitskosten dafür sind, wird sich erst allmählich zeigen. Schon jetzt nehmen zum Beispiel häusliche Gewalt und Alkoholismus zu. Und Arbeitslosigkeit ist generell schlecht für die Gesundheit.
Der Lockdown soll uns doch schützen ...
Hygiene- und Abstandsregeln sind unbestritten. Aber es ist unklar, ob die übrigen Massnahmen in diesem Umfang gerechtfertigt sind – erst recht, da sie substanzielle Schäden in Höhe vieler Milliarden Franken verursachen. Der Pandemieplan des Bundes ist grundsätzlich auf ganz schwere Fälle ausgelegt – also wenn die Leute bildlich gesprochen auf der Strasse tot umfallen. Das ist bei Covid-19 bei weitem nicht der Fall.
Und was ist mit der Risikogruppe?
Die muss man schützen – das stellt niemand infrage. Fraglich ist nur, ob es angemessen ist, den Grossteil der Bevölkerung einzuschränken. Ein Lockdown für die schützenswerten Gruppen würde wahrscheinlich reichen, soweit wir es jetzt wissen. Die anderen könnten grösstenteils unter Einhaltung von Distanz und Hygienemassnahmen arbeiten gehen.
Warum?
Die Tödlichkeit des Virus wird wahrscheinlich überschätzt. Die Zahlen vom Bundesamt für Gesundheit sind zu wenig aussagekräftig. Denn es unterscheidet nicht zwischen Personen, die am Coronavirus verstorben sind, und solchen, die das Virus zwar hatten, aber an anderen Ursachen gestorben sind. Es ist nur die Rede von «Toten im Zusammenhang mit Corona». Und wir wissen auch nicht, wie viele Leute das Virus haben, ohne es zu merken.
Wie soll das BAG das rausfinden?
Mit einer repräsentativen Stichprobe, in der die gesamte Bevölkerung getestet wird – auch regional, um Unterschiede zu erkennen und die Spitalkapazitäten in den Kantonen entsprechend zu planen. Wenn sich herausstellt, dass ein Grossteil bereits das Coronavirus, aber keine Beschwerden hat, wäre das ein Argument gegen den Lockdown. Denn der soll ja die Verbreitung des Virus verhindern.
Wäre der Test aufwendig?
Fachleute gehen davon aus, dass es etwa eine Woche dauern würde, die Stichproben durchzuführen und auszuwerten. Ich bin darum überrascht, dass der Bund hier nicht aktiver ist. Diese Daten sind extrem wichtig im Hinblick auf eine vernünftige Strategie, die uns wieder ins normale Leben zurückbringt.