Uns gehts gut? Ihr seht das komplett anders

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Lohnschere, Armut, KaufkraftUns gehts gut? Ihr seht das komplett anders

Die Schweizer Wirtschaft brummt: Löhne sollen steigen und Wohnen sowie Ferien werden günstiger. Das sagen die Leser dazu.

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Im laufenden Jahr sollen die Löhne steigen – nämlich um 0,5 Prozent. Damit zeichnet sich erstmals seit 2016 wieder eine positive Lohnrunde ab.
Trotzdem glauben viele Leser, dass die Lohnschere in der Schweiz weiter aufgeht. Wirtschaftspsychologe Christian Fichter sagt:  «In der Schweiz geht es auch den Armen immer besser. Wenn die Wahrnehmung eine andere ist, dann auch deshalb, weil sich in den letzten Jahren dank Social Media eine Kultur des Meckerns und Jammerns ausgebreitet hat.»
Mit 2,1 Porzent ist die Arbeitslosenquote in der Schweiz  so tief wie seit 19 Jahren nicht mehr: Laut Fichter leidet der einzelne Arbeitslose mehr unter der tiefen Quote, denn er fühlt sich noch weniger gebraucht.
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Im laufenden Jahr sollen die Löhne steigen – nämlich um 0,5 Prozent. Damit zeichnet sich erstmals seit 2016 wieder eine positive Lohnrunde ab.

Keystone/Christian Beutler

Jetzt fliesst endlich mehr Geld ins Portemonnaie: Nächstes Jahr sollen die Löhne um 0,5 Prozent steigen, wie die UBS am Dienstag mitteilte. Denn die Schweizer Wirtschaft brummt. Deshalb werden auch Wohnungen und Ferien günstiger. Zudem ist die Arbeitslosenquote so tief wie seit 2000 nicht mehr.

Doch geht es den Schweizern wirklich besser? Die meisten Leser sehen das komplett anders, wie ein Blick auf die 2000 Kommentare zeigt. Christian Fichter, Wirtschaftspsychologe der Kalaidos Fachhochschule gibt seine Einschätzung:

Frage: Auch mit einem guten Lohn bleibt nicht viel Geld am Ende des Monats übrig, wie kann das sein?

Fichter: «Die Wahrheit ist das eine. Unsere Wahrnehmung das andere. Objektiv geht es uns finanziell nach wie vor sehr gut. Subjektiv nehmen wir das anders wahr. Erstens, weil wir negative Entwicklungen unserer Nachbarländer mitbekommen. Negative Schlagzeilen kennen keine Landesgrenzen. Zweitens wünschen wir uns mehr als früher. Auf Instagram wird uns vorgelebt, was erstrebenswert ist – aber unsere Kaufkraft kann nicht mit den gestiegenen Konsumwünschen mithalten. Ausserdem gibt es einen Wertewandel: Sparen liegt nicht im Trend, Geld ausgeben und schöne Dinge kaufen hingegen schon. Egal, wie viel man verdient, das Geld geht raus.»

Frage: Werden in der Schweiz die Armen ärmer und die Reichen reicher?

Fichter: «Nein, auch hier gibt es objektive Zahlen. Sie zeigen: In der Schweiz geht es auch den Armen immer besser. Wenn die Wahrnehmung eine andere ist, dann auch deshalb, weil sich in den letzten Jahren dank Social Media eine Kultur des Meckerns und Jammerns ausgebreitet hat. Das wird sich wieder einpendeln.»

Frage: Ging es den Schweizern vor 30 Jahren besser?

Fichter: «Nein! Das sehen wir schon an den Autos, die heute auf den Strassen unterwegs sind: Der Anteil an hochmotorisierten Luxusschlitten ist viel grösser – und darin sitzen längst nicht nur Gutverdiener. Die meisten objektiven Kennzahlen sind heute besser als früher. Wenn die subjektiven Empfindungen anders sind, dann weil die schlechten Nachrichten aus anderen Ländern und in anderen Themen auf unsere allgemeine Stimmung abfärben. Wahrscheinlich sind wir heute anfälliger auf solche Botschaften.»

Je tiefer die Arbeitslosenquote, desto mehr leidet der einzelne Arbeitslose.

Frage: Geht es Rentnern finanziell schlechter als der jüngeren Generation?

Fichter: «Überhaupt nicht. Als Rentner geniesst man grosszügige finanzielle Privilegien. Aber natürlich hat man nicht mehr das Einkommen wie ein Berufstätiger und das Vermögen muss länger halten. Trotzdem geht es unseren Rentnern gut. Leider verbreiten manche Politiker den Gedankenvirus, dass Rentner ausgequetscht werden. Aber das wird nicht wahrer, auch wenn es hunderttausendmal geliked wird.»

Frage: Was bringt eine tiefe Arbeitslosenquote jemandem, der keinen Job findet?

Fichter: «Es gibt fast nichts Belastenderes im Leben als Arbeitslosigkeit, das wissen wir aus Studien. Je tiefer die Arbeitslosenquote, desto mehr leidet der einzelne Arbeitslose, denn er fühlt sich dann noch weniger gebraucht. Aber durch die tiefe Arbeitslosenquote steigt die Chance, wieder Arbeit zu finden. Und sie sichert natürlich die finanzielle Stabilität der Volkswirtschaft und damit die Sicherheit der Arbeitslosenunterstützung.»

Frage: Können sich Niedrigverdiener jemals ein gutes Leben leisten?

Fichter: «Niedrigverdienern in der Schweiz geht es so gut wie in keinem anderen Land. Es kommt auch hier drauf an, was für Wünsche man hat. Und das hängt wiederum stark davon ab, in welchen Facebook-Gruppen man sich tummelt und welchen Instagram-Persönlichkeiten man folgt. Für das persönliche Glücksgefühl ist es schädlich, wenn man seine Konsumwünsche ständig an denen gut ausgestatteter Influencer orientiert.»

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