14 Millionen Einzelschicksale

Aktualisiert

Flut in Pakistan14 Millionen Einzelschicksale

Die Zerstörung durch die Flut in Pakistan übersteigt jene des Tsunamis von 2004 um ein Vielfaches – und es könnte noch schlimmer kommen.

Ronny Nicolussi
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Ronny Nicolussi

«Es regnet weiterhin», sagt Barbara Gruner, Verantwortliche für die Humanitäre Hilfe beim Schweizerischen Arbeitshilfswerk (SAH) zur Situation in Pakistan. Zwar gehe in gewissen Gebieten das Wasser zurück, so dass vereinzelte Dörfer bereits wieder trocken seien. An anderen Orten steige jedoch der Wasserpegel weiter an. Die Zahl der Toten stieg mittlerweile auf rund 1800. Wie sich die Situation weiter entwickeln werde, sei derzeit schwierig abzuschätzen. Die UNO schliesst nicht aus, dass sich die Lage weiter zuspitzen könnte – und steht vor der grössten Hilfsaktion ihrer Geschichte. Für heute war die Lancierung eines weltweiten Spendenaufrufs geplant.

Die grössten Schwierigkeiten für die Helfer in Pakistan sind derzeit die unzugänglichen Wege in die Krisengebiete. «Je ländlicher oder gebirgiger ein Gebiet ist, desto schwieriger ist es für uns, dorthin zu gelangen», sagt Gruner. Viele Strassen seien überschwemmt oder durch Geröll blockiert, manche gar nicht mehr existent. Die Hilfe gelange daher meist nur bis zu den grossen Städten wie Islamabad oder Peschawar.

Weil es die ganze Zeit regnet, konnten abgeschnittene Dörfer bisher auch nicht mit Helikoptern erreicht werden. Die Hilfe rollt nur langsam an, zu Fuss und mit Eseln oder Maultieren. Für gewisse Güter, die mit Lastwagen transportiert werden müssen, kann man nur warten, bis das Wasser zurückgeht, wie die SAH-Mitarbeiterin weiter erklärt. An einen Wiederaufbau ist daher momentan nicht zu denken. Primär werden die Betroffenen wo möglich mit Nahrungsmitteln, Medikamenten und Zelten versorgt. Viele Pakistaner haben alles verloren. Neben Unterkünften fehle es daher auch an ganz einfachen, täglichen Bedarfsgegenständen, sagt Gruner: «Eine Decke, eine Schlafmatte, ein Löffel oder ein Kochtopf sind bereits Gold wert.»

Betroffen ist auch, wer die halbe Verwandtschaft aufnimmt

Vom schwersten Hochwasser seit 80 Jahren sind nach Angaben der UNO knapp 14 Millionen Pakistaner betroffen. Das sind mehr Menschen als beim Tsunami 2004, dem Erdbeben auf Haiti und dem Erdbeben in Kaschmir zusammen. Betroffen heisse zwar nicht, dass 14 Millionen obdachlos seien, hält Gruner fest. Die Zahl der Obdachlosen wird derzeit auf zwei Millionen geschätzt. Viele gälten auch als Betroffene, weil sie jetzt beispielsweise bei sich zu Hause die halbe Verwandtschaft aufnähmen. «Man sollte aber trotzdem nicht vergessen, dass sich hinter allen Betroffenen Einzelschicksale verbergen. Menschen, die mit einem kleinen Geschäft ganze Familien ernährten und jetzt alle Vorräte verloren haben», so Gruner.

Ein Kränzchen windet die SAH-Mitarbeiterin den Vereinten Nationen. Diese würden die Hilfsaktionen der verschiedenen beteiligten Organisationen sehr gut koordinieren und organisieren. «Im Vergleich mit Katastrophen in den vergangenen Jahren hat sich die Organisation massiv verbessert», findet Gruner. Anders als früher dürfte es heute nicht mehr vorkommen, dass an gewissen Orten zu viele Hilfsgüter gelangten, während andere Orte gar keine Hilfe erhielten.

Taliban wollen keine Hilfe aus dem Westen

Keine Freude an der internationalen Hilfe haben die pakistanischen Taliban. Die radikalislamische Bewegung, die sich in einigen Regionen als Hochwasserhelfer betätigt, rief die Regierung auf, westliche Hilfen abzulehnen. Das Geld fliesse nur in die Taschen korrupter Beamter in den betroffenen Regionen, sagte ein Taliban-Sprecher. Die US-Regierung hatte gestern ihre Hilfszusagen um 20 auf 55 Millionen Dollar aufgestockt. Pakistan ist für die USA ein wichtiger Verbündeter im Kampf gegen die Taliban in Afghanistan.

Auf solche Aussagen könne sie keine Rücksicht nehmen, sagt SAH-Mitarbeiterin Gruner. Humanitäre Hilfe werde unabhängig von politischer Gesinnung oder Religion geleistet. Die Arbeit der Hilfsorganisationen behindern würden die Taliban nicht. Mit ihren Hilfsmassnahmen haben sie jedoch einige Sympathien bei der Bevölkerung gewonnen. Der pakistanischen Regierung werfen Flut-Opfer hingegen vor, sie im Stich zu lassen. Präsident Asif Ali Zardari hatte trotz der schweren Überschwemmungen seine Reise nach Europa fortgesetzt und war erst gestern in die Heimat zurückgekehrt.

Spenden für die Flutopfer nehmen sowohl die Glückskette wie auch UNICEF entgegen:

Glückskette

Postkonto 10-15000-6 (Vermerk «Überschwemmungen Asien»), www.glueckskette.ch.

UNICEF

Postkonto 80- 7211-9 (Vermerk: Nothilfe Pakistan), www.unicef.ch.

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