Libyen-AffäreLevrat: «Merz wusste Bescheid»
Wer wusste wann was? Die Kontroverse um die geplanten Militäraktionen zur Geiselbefreiung in Libyen wird immer verworrener. Nun meldet sich der SP-Präsident zu Wort.
Bundespräsidentin Doris Leuthard verliest am Montag, 22. Juni 2010, das Statement des Bundesrates
Es war einer der grossen Knackpunkte in der Libyen-Affäre: Im August 2009 reiste der damalige Bundespräsident Hans-Rudolf Merz nach Libyen, um die beiden Geiseln Rachid Hamdani und Max Göldi in die Schweiz zu holen. Merz entschuldigt sich und kehrt mit nichts als dem Gepäck der Geiseln zurück. Seine Mission war gescheitert.
Am Freitag soll Bundesrat Merz der Aussenministerin Micheline Calmy-Rey an der Bundesratssitzung vorgeworfen haben, sie habe Befreiungsaktionen für die Geiseln in Libyen geplant, ohne ihn vor seiner Tripolis-Reise darüber zu informieren – und deutete so an, seine Reise sei deshalb gescheitert.
«Calmy-Rey muss zurücktreten»
Die FDP sah ihren Bundesrat bereits rehabilitiert und schoss sich auf Calmy-Rey ein: Nationalrat Walter Müller forderte in der «SonntagsZeitung» gar den Rücktritt der Bundesrätin: «Stimmen die Vorwürfe, dann hat Calmy-Rey Merz in Tripolis einem massiven Sicherheitsrisiko ausgesetzt.»
Doch nun wirft sich SP-Parteipräsident Christian Levrat vor seine Bundesrätin und widerspricht gegenüber Radio DRS: Hans-Rudolf Merz sei vom Aussendepartement frühzeitig informiert worden. Er sei bereits im Januar 2009 darüber unterrichtet worden, also rund sieben Monate vor seiner Reise.
«Kein Kommentar»
Merz' Departement, das EFD, wollte gegenüber Radio DRS keine Stellung dazu beziehen, ob Hans-Rudolf Merz bereits im Januar 2009 vom EDA informiert worden ist.
Die Kontroverse um die geplante Geiselbefreiung ist somit um eine weitere Aussage reicher. Die Frage bleibt: Wer wusste wann was? Gestern Montag sah sich Bundespräsidentin Doris Leuthard genötigt, vor die Presse zu treten und festzuhalten: Der Gesamtbundesrat habe erstmals am 3. Februar 2010 von den Plänen erfahren. Darüber sei er unzufrieden. Der Bundesrat habe Aussenministerin Micheline Calmy-Rey und Verteidigungsminister Ueli Maurer, beauftragt, in einem Bericht darzulegen, «wer wann was gewusst hat, wer den Einsatzbefehl für diese Aktionen gegeben und später zurückgezogen hat und auf welcher Rechtsgrundlage dies geschehen ist», wie Leuthard sagte. Die Geschäftsprüfungskommission hat sich der Sache ebenfalls angenommen. Ihr Bericht wird aber erst im Herbst erwartet.
Der Gesamtbundesrat wusste vermutlich rund eineinhalb Jahre nichts über diese geheimen Aktionen. Wann genau die Sicherheitsdienste konkrete Pläne ausgearbeitet hatten, ist unklar. Laut Medienbericht wurden anscheinend drei Geiselbefreiungen geplant: Zwei um den Jahreswechsel 2008/2009, eine dritte im September 2009.