Marsch in den Tod

Aktualisiert

Hungersnot in AfrikaMarsch in den Tod

Hungernde Menschen, entkräftete Tiere und tagelange Fussmärsche: Die Suche nach Nahrung im Hunger leidenden Afrika ist ein Lauf gegen die Zeit – und ums Überleben. Protokoll aus dem Katastrophengebiet.

Annette Hirschberg
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Annette Hirschberg

Es ist die schwerste Dürre seit 60 Jahren und eine der grössten humanitären Katastrophen. Zehntausende starben am Horn von Afrika bereits an den Folgen der Hungersnot, über eine halbe Million Kinder sind vom Tod bedroht. Tausende Menschen pilgern mit ihren Tieren zu den letzten Wasserlöchern. Für viele ist es ein Marsch in den Tod, erzählt Caritas-Mitarbeiter Alex Voets gegenüber 20 Minuten Online aus der Krisenregion im Norden Kenias.

«Die Caritas konzentriert ihre Hilfeleistungen an die Bevölkerung auf den Norden Kenias. Im Süden Somalias ist es am schlimmsten, aber der Norden Kenias ist auch schwer betroffen. Die Uno hat für die Region den Notstand ausgerufen. Das ist eine Stufe vor der Hungersnot. In einigen Wochen wird es hier aber auch so weit sein wie in Somalia.

Konkret handelt es sich um das Gebiet rund um die Stadt Marsabit. Dort war ich vergangene Woche, um mit der Bevölkerung zu reden, damit wir die geeigneten Massnahmen treffen können. Die Lage dort ist dramatisch.

Nichts wächst mehr

In den letzten 3 Jahren fiel kaum Regen. Normalerweise regnet es in der Region im Frühling und im Herbst wochenlang. In den vergangenen drei Jahren fehlte dieser Regen praktisch ganz. Von März bis Mai 2011 etwa regnete es nur an ein bis zwei Tagen. Darum wächst nichts mehr, die Flüsse führen kein Wasser mehr und den Menschen und ihren Tieren geht es von Tag zu Tag schlechter.

Die Leute leben vor allem von ihren Rindern und Kühen und ziehen mit ihnen von Weide zu Weide. Sie haben auch angefangen Landbau zu betreiben, doch wegen des Wassermangels konnten sie in den vergangenen Jahren keine Felder mehr bestellen.

Eines der letzten Rückzugsgebiete, wo es meist noch Gras gibt, ist der Ort Hurri Hills in den Bergen. Dort gibt es auch jetzt noch wenige Wiesen, aber gar kein Wasser mehr. Zum Weiden ziehen die Menschen mit ihren Herden darum nach Hurri Hills. Von dort sind es aber zwei Tage Marsch bis zur nächsten Wasserstelle. Also ziehen die Leute mit ihren Herden ständig hin und her zwischen Weide und Wasserloch. Das ist ungemein anstrengend. Die Weiden sind karg und geben wenig her und die Rinder müssen so viel laufen, dass sie immer schwächer werden und langsam eines nach dem anderen sterben.

Fast alle Tiere starben auf dem Rückweg

Ich habe mit einem Bauern aus Marsabit geredet. Der hatte bis vor kurzem eine Herde von etwas mehr als 100 Tieren. Als ich letzte Woche mit ihm sprach, war am Tag zuvor seine letzte Kuh gestorben. Er hatte wie viele andere gesehen, dass es in einer anderen Region geregnet hatte und beschloss, mit seinen hungrigen und geschwächten Rindern dorthin zu laufen. Er hoffte, dort etwas Gras zu finden. Aber nicht nur er, sondern auch zahlreiche andere Tierbesitzer hatten sich auf den Weg ins Regengebiet gemacht. Ein Tag Regen reicht aber nicht, damit etwas wächst. Und als er im Regengebiet ankam, gab es auch kaum mehr Wasser. Darum starben fast alle seine Tiere auf dem Rückweg. Er kam mit fünf Rindern zurück. Doch auch diese waren so geschwächt, dass sie bald darauf starben.

Der Bauer ist völlig verzweifelt. Für alle dort sind die Tiere die Lebensbasis. Ohne sie verfügen sie über kein Einkommen und keine Nahrung. Die Regierung gibt bereits Essens- und Wasserrationen an die Bevölkerung ab, aber das kommt nur unregelmässig vor und ist viel zu wenig. So bekommt eine Grossfamilie in Hurri Hills in der Regel 40 Liter Wasser für drei bis vier Tage. Sie brauchen es zum Trinken und zum Kochen; was sie entbehren können, geben sie ihren Rindern. Doch das reicht nicht. Eine Kuh braucht eigentlich rund 30 Liter pro Tag. Viele versuchen noch selbst Wasser zu holen. 20 Kilometer entfernt gibt es ein Bohrloch. Dorthin laufen die Frauen. Sie brauchen den ganzen Tag, um 20 Liter nach Hause zu tragen, denn vor dem Bohrloch stehen sie noch stundenlang an, um ihr Gefäss zu füllen.

«Die Lage wird sich dramatisch zuspitzen»

Zum Waschen oder für die Hygiene bleibt kein Wasser mehr übrig, darum sind viele Leute auch krank und haben schwere Hautprobleme. In manchen Regionen sind die Wasserlieferungen so selten, dass nicht einmal mehr genug zum Kochen bleibt. Dort bekommen die Menschen zwar Maiskörner, können sie aber nicht essen.

Die Maisrationen sind knapp und so unregelmässig, dass es noch mit den Nachbarn geteilt werden muss. So bleibt pro Person nur ganz wenig. Die Leute sind unglaublich mager und schwach. Immer wieder kommt es vor, dass jene, die mit den Rindern losziehen, unterwegs erschöpft liegen bleiben.

Am schlimmsten ist es für die Kinder. Sie sind unglaublich dünn. Um Extra-Rationen zu erhalten, müssten sie ins Spital im Zentrum kommen. Doch die meisten schaffen das gar nicht. Es ist darum sehr schwierig, Zahlen über betroffene Kinder zu erhalten. Klar ist: Die Lage wird sich in den kommenden Wochen dramatisch zuspitzen. Der nächste Regen kommt, wenn überhaupt, erst im Oktober.»

Spenden gegen die Hungersnot

Die Glückskette nimmt Spenden auf dem Postkonto 10-15000-6 mit dem Vermerk «Afrika» oder online auf www.glueckskette.ch entgegen.

Weitere 60 Millionen Euro gegen Hungersnot

Die EU will den hungernden Menschen am Horn von Afrika mit zusätzlichen 60 Millionen Euro helfen. Entsprechende Schritte habe sie eingeleitet, sagte die für humanitäre Krisen verantwortliche EU-Kommissarin Kristalina Georgieva am Mittwoch nach einem Besuch der Dürre-Regionen in Somalia und Kenia. Insgesamt würden die Hilfsleistungen für die Region für dieses Jahr damit auf 158 Millionen Euro aufgestockt. Mit dem neuen Geld würden Nahrungsmittel für die am stärksten gefährdeten Haushalte finanziert. Von der schlimmsten Dürre seit 60 Jahren sind elf Millionen Menschen betroffen. (ap)

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