Pandemie-AngstExperte: Schweinegrippe kommt in die Schweiz
Die fünf Verdachtsfälle in der Schweiz werden nicht die einzigen bleiben. Ein Experte ist überzeugt, dass die Schweinegrippe auch hierzulande auftreten wird. Die Spitäler bereiten sich auf diesen Fall vor. Eine Arbeitsgruppe erarbeitet am Universitätsspital Basel Massnahmen.
Jetzt hat auch die Schweiz ihre ersten Schweinegrippe-Verdachtsfälle. Derzeit werden fünf Patienten auf das H1N1-Virus untersucht. Experten gehen mittlerweile davon aus, dass eine Verbreitung der Krankheit auf alle Kontinente kaum verhindert werden kann. «Ich rechne mit einer Pandemie», sagt Pietro Vernazza, Chefarzt der Abteilung Infektiologie und Spitalhygiene vom Kantonsspital St. Gallen. Dass auch die Schweiz in absehbarer Zeit betroffen sein wird, «davon müssen wir ausgehen», so Vernazza gegenüber 20 Minuten Online. Bekannt ist, dass die Grippe bisher vor allem durch Reiserückkehrer weiterverbreitet wurde. Davor sei die Schweiz nicht geschützt.
Beunruhigend sei, dass sich Virus von Mensch zu Mensch überträgt
Über das Ausmass der Grippe wird derzeit spekuliert. Gesundheitsdirektor Thomas Zeltner wies in einem Gespräch mit Radio DRS darauf hin, dass die Welt noch relativ wenig über die Grippe wisse. «Es ist noch zu früh, die Gefährlichkeit des Virus zu beurteilen.» Insbesondere stelle sich die Frage, wieso die Fälle in den USA bisher glimpflich abgelaufen seien, während in Mexiko mehrere Leute starben. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) kläre derzeit die Lage ab, so Zeltner.
Auch Vernazza sagt, es sei derzeit offen, ob es sich bei dem H1N1-Virus um eine milde Form handelt. «Das ist gut möglich», so der Infektologe. «Würde es sich um das Vogelgrippe-Virus handeln, wäre ich maximal besorgt.» Dieses H5N1-Virus führte damals in rund 50 Prozent der Fälle zum Tod und ist laut Vernazza «viel aggressiver» als das H1N1. Doch Letzteres birgt vor allem eine grosse Gefahr. Das «Besorgniserregende» an dem Virus sei, so Jörg Hacker, Leiter des Robert-Koch-Instituts in Deutschland, gegenüber «Süddeutsche.de», dass es eindeutig von Mensch zu Mensch übertragbar ist. «Es haben sich Menschen angesteckt, die keinen Kontakt mit Schweinen oder Bauernhöfen hatten», so Hacker. Auch Zeltner zeigte sich besorgt. Vor allem drei Dinge am neuen Virus stimmen den Chef des Bundesamts für Gesundheit (BAG) nachdenklich: Die Neuartigkeit des Virus, die Übertragbarkeit von Mensch zu Mensch sowie die Tatsache, dass auch gesunde Menschen mittleren Alters erkranken.
«Dann müssten Schulen geschlossen werden»
Über das Gefahrenpotenzial lasse sich erst in den nächsten ein bis zwei Tagen Genaueres sagen, sagt Vernazza. Jetzt gelte es abzuwarten. Die Schweiz sei zudem in Bereitschaft. Sollte die Schweinegrippe die Schweiz tatsächlich in grobem Ausmass treffen, liegen Notfallszenarien bereit. «Dann müssten Schulen geschlossen oder Grossansammlungen verhindert werden». So weit sei man aber längst nicht.
Was die Vorsichtsmassnahmen in der Schweiz angeht, verwies BAG-Direktor Zeltner auf die WHO. Gegenwärtig seien keine weiteren Massnahmen nötig. Am Dienstag werde das Expertengremium erneut tagen. Spreche die WHO neue Empfehlungen aus, ändere sich die Lage der Schweiz. Auch die Reisewarnungen stünden dann zur Disposition. Laut Zeltner ist die Schweiz aber «so gut vorbereitet wie noch nie».
Universitätsspital Basel hat Arbeitsgruppe gebildet
Bereits angelaufen sind die Vorbereitungen in den grossen Spitäler der Schweiz. Das Universitätsspital Basel hat heute Morgen eine Arbeitsgruppe gebildet, die erste Massnahmen ergriffen hat. Patienten mit Verdacht auf Schweinegrippe werden auf der Notfallstation in Isolationskabinen geleitet, sagt Sprecher Andreas Bitterlin auf Anfrage. Das soll die Übertragung der Krankheit auf andere Patienten und auf die Mitarbeiter verhindern. Die Behandlung in den Isolationskabinen erfolgt mit speziellen Vorkehrungen, so trägt das medizinische Personal dort Schutzmasken.
Weitere Massnahmen hat das Universitätsspital Basel im logistischen Bereich ergriffen. Sie sollen die interne Verteilung von Schutzmasken und Grippemedikamenten regeln. Auch die Anfragen von verunsicherten Personen oder auswärtigen Ärzten hat das Spital kanalisiert. Die Arbeitsgruppe befasst sich nun mit der Planung für die weitere Entwicklung der Krankheit. «Wir bemühen uns, Szenarien zu entwickeln, wenn beispielsweise die Patientenzahl stark ansteigt», sagt Bitterlin. Denn die bestehenden Möglichkeiten, Patienten zu isolieren, sind beschränkt. Bei einer Häufung von Verdachtsfällen müssten die Patienten zusammengelegt werden. Nun laufen auch Vorbereitungen, entsprechenden Räumlichkeiten bereitzustellen.
Vorbereitungen für Vogelgrippe nützen
Die drohende Schweinegrippe trifft die Schweizer Spitäler nicht unvorbereitet. Sie haben vor zwei Jahren, als die Vogelgrippe für Unruhe sorgte, Konzepte ausgearbeitet. Diese dienen nun als Basis für aktuelle Massnahmen, auch wenn es laut Bitterlin gewisse medizinische Unterschiede zur Vogelgrippe gibt.
Beim Inselspital Bern laufen die Vorbereitungen auf die Schweinegrippe ebenfalls gemäss den vorhandenen Massnahmenplänen der Vogelgrippe. «Wir sind gewappnet», sagt Sprecher Markus Hächler. So seien heute den Verantwortlichen nochmals die Abläufe der Pandemiepläne in Erinnerung gerufen worden. Über Details der Vorbereitungen will sich Hächler nicht äussern. Schliesslich seien ausserordentliche Situationen in den Spitälern der Courant normal.
Karte: Die Ausbreitung der Seuche
Sehen Sie sich H1N1 Schweinegrippe auf einer grösseren Karte an Rosa: Verdachtsfälle / Lila: Bestätigte Fälle / Gelb: Negative FälleSymbole ohne Punkt: Todesfälle
EU warnt
EU-Gesundheitskommissarin Androulla Vassiliou hat wegen der Schweinepest von Reisen nach Mexiko und in die USA abgeraten, «um das Risiko zu minimieren». Touristen, die gegenwärtig vor Ort seien oder aus Mexiko zurückkehrten, sollten einen Arzt aufsuchen, empfahl Vassiliou am Montag in einer in Brüssel ausgestrahlten Videobotschaft. Die Gesundheitskommissarin wollte am Donnerstagnachmittag in Luxemburg mit den EU-Aussenministern über mögliche Schutzvorkehrungen beraten. (sda)