Kampusch-Entführer - Rätsel um Grab gelöst

Aktualisiert

Wolfgang PriklopilKampusch-Entführer - Rätsel um Grab gelöst

Nach Natascha Kampuschs Flucht fand man Wolfgang Priklopil tot auf. Doch was passierte mit der Leiche? Neue Dokumente bringen Licht ins Dunkel.

K. Leuthold/F. Burch/M. Gilliand
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K. Leuthold/F. Burch/M. Gilliand

Als Zehnjährige entführt, verbrachte Natascha Kampusch acht Jahre in einem Kellerverlies in Strasshof bei Wien. Wolfgang Priklopil, ein Nachrichtentechniker, der in seinem Umfeld als «Eigenbrötler» galt, hatte sie 1998 in seinen weissen Kastenwagen gezerrt und verschleppt. Am 23. August 2006 gelang der inzwischen 18-Jährigen die Flucht. Gleichentags wurde Priklopil am späten Abend tot auf den Zuggeleisen in der Nähe des Wiener Nordbahnhofs aufgefunden.

Von dem Augenblick an richtete sich die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit und die der Polizei auf die tapfere junge Frau, die in einem seltenen Moment, in dem ihr Entführer sie nicht beaufsichtigte, die Chance gepackt hatte, durch ein offenes Gartentor zu flüchten. Später kamen die Interviews, die Kampusch-Biographie und der Dokumentarfilm – und jedes Mal stand das Opfer im Mittelpunkt. Wenig kümmerte es, was mit der Leiche des Täters Wolfgang Priklopil geschehen war.

Kaum gekannt, aber das Begräbnis organisiert

Doch der Kriminalfall ist mit dem Tod des Entführers nicht abgeschlossen – zu brennend ist der Verdacht, dass ein weiterer Täter existieren könnte. Im Laufe der Zeit nahmen sich die Ermittler auch der Leiche an. Pikant: Priklopil wurde nicht neben seinem Vater Karl begraben, sondern ist beim Familiengrab von Margit W.*, der Schwester seines besten Freundes Ernst H.*, beigesetzt worden. Ernst H. wurde unmittelbar nach dem Auftauchen von Kampusch als Mitwisser und sogar als Mittäter beschuldigt. Der Verdacht liess sich damals jedoch nicht erhärten.

Margit W. übernahm die Formalitäten des Priklopil-Begräbnisses – eine Aufgabe, die im Normalfall der Mutter des Toten zugestanden hätte. «Aus Menschlichkeit» habe sie dies getan, geht aus Polizeiakten hervor, die 20 Minuten Online vorliegen (siehe Diashow). Darin erklärt Margit W., sie habe Wolfgang Priklopil, seit sie ihn kennengelernt hatte, nur noch ein weiteres Mal in ihrem Leben gesehen (siehe Diashow). Trotzdem war das offenbar kein Hinderungsgrund, einen Entführer, der jahrelang ein Mädchen eingesperrt gehalten hatte, in einer früher gekauften Parzelle, unmittelbar neben dem Grab ihrer Familie, aufzunehmen.

Mögliche Beweismittel vernichtet?

Für Margit W. war das kein Problem, erklärte sie im Verhör. Schliesslich sei der Tote der beste Freund ihres Bruders Ernst gewesen. Doch die Ermittler gehen davon aus, dass die beiden Familien offenbar enger verstrickt waren als bisher angenommen. Margit W.s Aktivitäten rund um das Begräbnis seien sehr auffällig gewesen. Die Anordnung, Priklopils Leiche einäschern zu lassen, lasse den Verdacht zu, dass man mögliche Beweismittel vernichten wollte.

«Die Frau hat nach dem Tod Priklopils alle Familiengeschäfte in die Hand genommen», sagt die österreichische Parlamentsabgeordnete Dagmar Belakowitsch-Jenewein gegenüber 20 Minuten Online. Insbesondere betreffe das eine Vollmacht, die Margit W. von der Mutter des Täters bekommen habe. «Sie hat die psychische Ausnahmesituation der Frau Priklopil ausgenutzt.»

«Die atypisch umtriebige Schwester»

Zeugen bezeichneten das Verhältnis zwischen Priklopil und seinem Freund und Geschäftspartner Ernst H. mit den Worten «man konnte sich den einen nicht ohne den anderen vorstellen». Über die Beziehung zwischen dem Kampusch-Entführer Priklopil und Margit W., die ihn nach eigenen Angaben kaum gekannt hatte, ist jedoch fast nichts bekannt und sie bedürfte einer näheren Untersuchung.

Wie stark ist Margit W. in die Affäre Kampusch involviert? Diese Frage konnte bislang von den Ermittlern nicht geklärt werden. Für das ehemalige Mitglied der Kampusch-Evaluierungskommission, Dr. Johann Rzeszut, ist die Sache jedoch klar: In einem Schreiben ans österreichische Parlament beschrieb der frühere oberste Richter Österreichs Margit W. als «die atypisch umtriebige Schwester» - und forderte die Politik auf, ihre Rolle im Fall näher zu durchleuchten.

Margit W. konnte für eine Stellungnahme weder per Mail noch telefonisch erreicht werden.

*Namen der Redaktion bekannt

(Mitarbeit: Guido Grandt, Udo Schulze)

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