Pannenserie bei DBWenn der Zug zur Hitzefalle wird
Der ICE als Backofen, der zum Hitzekollaps von mehr als 40 Bahnreisenden führt, das war als Gefahr bis zum Wochenende noch nicht im allgemeinen Bewusstsein.

Bahnhof Bielefeld: Rettungskräfte versorgen am Samstag eine zusammengebrochene Schülerin – im ICE herrschten über 50 Grad. (Bild: dpa)
Wie in einer Falle fühlten sich die Passagiere, nachdem die Klimaanlagen in drei ICE ausgefallen waren. Damit gibt es auch keine Frischluftzufuhr mehr, wie Bahnsprecher Hartmut Sommer auf DAPD-Anfrage erklärte. Die Luft wurde immer heisser, immer stickiger, kein Fenster war zu öffnen - Panikstimmung.
Eine Schwangere versuchte - wie berichtet wurde - eine Scheibe einzuschlagen. Viele beschimpften das Bahnpersonal und forderten, dass sofort etwas unternommen werde. Für sie dürfte es eine Genugtuung sein, dass die Bundespolizei am Montag Ermittlungen wegen Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung und der unterlassenen Hilfeleistung eingeleitet hat. Die Deutsche Bahn verspricht den betroffenen Reisenden «Wiedergutmachung» und Entschädigung.
Das bundesweite Erschrecken über die schweren Folgen der Hitze-Pannen aber ist gross. Auch die Bundesregierung sieht sich herausgefordert: Verkehrsminister Peter Ramsauer besprach das Problem ausführlich mit Bahnchef Rüdiger Grube. Verbraucherministerin Ilse Aigner forderte, sämtliche Züge müssten umgehend auf ihre Funktionsbereitschaft überprüft werden. Mit dem Thema Mängel an ICE-Zügen soll sich der Bahn-Aufsichtsrat auf seiner nächsten Sitzung beschäftigen.
Kritiker sehen die Ursache in verstopften Filtern
WWarum die Klimaanlagen versagten, ist nach Angaben der Deutschen Bahn noch zu ermitteln. Wie Bahnsprecher Sommer erklärte, kann es zur automatischen Abschaltung kommen, wenn dem Kompressor wegen der hohen Temperatur des Kühlmittels eine Überhitzung droht. Der Kompressor sorge wie beim Eisschrank dafür, das Kühlmittel herunterzukühlen, zu verdichten und in die Rohrleitung zum Dach zu drücken, wo sich Wärmetauscher befinden. Von dort wird die gekühlte Luft ins Zuginnere geschickt.
Kritiker sehen die Ursache der Ausfälle vom Wochenende allerdings nicht in der sommerlichen Hitze, sondern in der mangelhafte Wartung der Filter in den Klimaanlagen. Die modernen Geräte seien in der Lage, feinen Staub und Bakterien aus der Luft herauszufiltern, heisst es. Aber die feinporigen Filter würden eben auch schneller verstopfen, hat der Grünen-Politiker Toni Hofreiter von Bahnexperten erfahren.
In diesen Fällen passiere normalerweise nichts, aber bei grosser Hitze und grossen Menschenmengen führten die verstopften Filter zum Versagen der Klimaanlage. Hofreiter kritisierte, dass es zu wenig Werkstätten gebe. «Die Wartungsintervalle wurden in den vergangenen Jahren systematisch ausgedünnt.»
Dies wies Bahnsprecher Jürgen Kornmann auf DAPD-Anfrage zurück. Er betonte, die Abstände seien vorgeschrieben. «Alle Züge werden, bevor sie morgens rausfahren, täglich überprüft.» Auch am Sonntag sei es in Teilen von Zügen zu einem Ausfall der Klimaanlage gekommen. «Es ist aber kein massenhaft auftretendes Phänomen», betonte Kornmann.
Die Beschwerden von Reisenden wegen dieses Problems nehmen beim Fahrgastverband Pro Bahn seit Anfang dieses Jahres deutlich zu, wie der Sprecher Matthias Oomen sagte.
Winter zu kalt, Sommer zu heiss
Der stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Patrick Döring, der Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn ist, forderte eine «lückenlose Überprüfung» der Wartungshistorie der betroffenen Züge. «Es kann nicht sein, dass der mitteleuropäische Winter zu kalt für die Bahn war und der mitteleuropäische Sommer zu heiss ist», sagte er der «Rheinischen Post» (Dienstagausgabe).
Der alte Werbespruch der Bundesbahn «Alle reden vom Wetter - wir nicht» würde heute nur Hohn und Spott provozieren. Vergangenen Winter hatte es Probleme mit Schnee und Eis gegeben. Weichen froren ein, und an Silvester war der Hauptbahnhof von Münster zeitweise fast völlig vom Fernverkehr abgeschnitten, weil Eis auf Oberleitungen die Stromversorgung abschnitt.
Döring forderte die Bahn zu Korrekturen beim Service auf. «Wenn die Klimaanlage ausfällt, sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass für Bahnreisende ausreichend gekühlte Getränke an Bord sind oder eisgekühlte Handtücher verteilt werden, wie das in anderen Ländern üblich ist», sagte Döring.
Schule will klagen
Nach dem Hitzekollaps mehrerer Schüler in einem defekten ICE will die Sophie-Scholl-Gesamtschule in Remscheid Schadenersatz von der Deutschen Bahn fordern. Die Bahn habe den Vertrag auf Beförderung der Schüler nicht erfüllt, sagte Schulleiterin Brigitte Borgstedt am Montag der Deutschen Presse-Agentur dpa.
«Die Beförderung endete im Desaster, und das nicht nur einmal.» Ausserdem rät die Schule den Eltern der betroffenen Kindern zu einer Sammelklage, sollten die Ermittlungen der Bundespolizei den Verdacht der fahrlässigen Körperverletzung bestätigen.
Nicht Klagen will dagegen die Schulleitung des Willicher St. Bernhard-Gymnasiums - trotz des Hitzekollapses mehrerer Schüler am Wochenende. Patrick Hofmacher, der als Prokurist der Malteser für das Gymnasium zuständig ist, sagte am Montag: «Wir sehen uns eher in der Vermittlerrolle. Klage zu erheben, ist in diesem Fall Sache der Eltern.»
Die Malteser erwarteten als Schulträger jedoch auf jeden Fall, dass die Deutsche Bahn ein deutliches Zeichen setze, sage Hofmacher. Er zeigte sich erleichtert, dass alle Jugendlichen wieder aus dem Krankenhaus entlassen und einigermassen wohlauf seien. Derzeit organisieren die Malteser nach eigenen Angaben für die betroffenen Schüler und wo nötig auch für die Eltern das Angebot einer psychosozialen Unterstützung. «Was die Jugendlichen in diesen Stunden erlebt haben, ist sicher nicht leicht zu verarbeiten», meinte Hofmacher.
Erneute Pannen
Das Hitzechaos bei der Deutschen Bahn geht weiter. Auch am Montag fiel nach Augenzeugenberichten in mehreren Wagen eines IC von Berlin nach Amsterdam die Klimaanlage aus. Nachdem der Zug mehrmals die Fahrt unterbrechen musste, sei er in Hannover komplett gestoppt worden.
«In einigen Wagen herrschten Temperaturen von über 40 Grad», sagte eine Reisende, die mit vier Kindern unterwegs war. Einige ältere Fahrgäste seien in Wagen mit funktionierender Klimaanlage umgesetzt worden. «Kollabiert ist niemand.»
Ein angekündigter Ersatzzug, der in Hannover bereitgestellt werden sollte, sei gestrichen worden. Die Fahrgäste wurden auf eine Regionalbahn verwiesen. «Die war aber überfüllt, da standen die Leute wie die Ölsardinen in den Gängen. Ein Zusteigen war nicht möglich», berichtete die Augenzeugin. (sda)