Amokdrohungen«Kein Amokschütze ruft vorher die Polizei an»
«Wer einen Amoklauf bei der Polizei ankündigt, droht meist nur. Er will niemanden umbringen», sagt Herbert Wyss von der Taskforce gegen Gewalt. Mit Drohungen müsse anders umgegangen werden, sonst habe der Drohende ein Erfolgserlebnis, kritisiert der Amokspezialist.
Mit einem Grossaufgebot marschierte die Kantonspolizei gestern vor der Gewerblich Industriellen Berufsschule in Bern (Gibb) auf, um das in zwei Telefonanrufen angedrohte Blutbad zu verhindern. Für Amokspezialist und Notfallpsychologe Herbert Wyss ist diese Aktion gut gemeint, habe aber den völlig falschen Effekt. «Damit bestärkt man nur den Drohenden», so Wyss. Denn: Noch kein einziger Amokläufer habe seine Bluttat vorher der Polizei angekündigt.
Wer droht, will ein Erfolgserlebnis haben
Wer solche Drohanrufe mache, verfolge meist ganz andere Motive.
«Eine Gruppe Jugendlicher etwa, will mit dem System spielen und es provozieren», so Wyss. Meist sei es aber eine Person, die mit der Drohung das eigene Selbstwertgefühl erhöhen wolle. «Die massive Reaktion von Medien und Polizei bestätigen dem Drohenden, dass er etwas auslösen kann», so Wyss. Gerade wenn so ein einfacher Anruf zu so einem Grossereignis führe, gebe es sehr schnell Nachahmer. «Die sind beeindruckt und wollen dasselbe Erfolgserlebnis haben», so Wyss. Die Kantonspolizei Bern, die in den letzten zwei Jahren schon zweimal an der Gibb in Bern und einmal an der Gewerbeschule in Thun wegen Drohungen massive Massnahmen ergriff, bestätig dies: «Jetzt ist wieder die Zeit der Trittbrettfahrer», so Mediensprecher Markus Schneider.
Ein Amoklauf wird detailliert geplant
Völlig anders sei der Verlauf eines Amoks an einer Schule oder Universität. «So eine Gewalttat baut sich über Monate hinweg langsam auf und die Täter machen verschiedene Phasen durch», sagt Wyss. In einer ersten Phase sei der Täter - meist 16 Jahre und älter - vor allem sozial schlecht integriert, sehr ich-Bezogen, konsumiere viel Gewalt in Musik, Filmen oder Büchern und spiele gern Killerspiele. «Er ist tendenziell gestresst, und erste Gedanken kreisen um seine Rache», so Wyss. In einer zweiten Phase komme es öfter zu plötzlichen Ausbrüchen, in denen der Schüler etwa mitten im Unterricht wegen einer Belanglosigkeit völlig ausflippe. «In diesen zwei bis drei Minuten ist er dann überhaupt nicht ansprechbar», so Wyss. In der vorletzten Phase werde das Verhalten des Täters wieder ruhiger, weil er nun detailiert den Amoklauf plane.
Der Täter kündigt den Amoklauf an
Dann komme es oft zu sogenanntem Leaking. In mündlichen Drohungen oder Schulaufsätzen, mit Todeslisten, Gewaltdarstellungen auf Internetplattformen oder in Zeichnungen kündige ein Täter seine Absichten an. «Gleichzeitig besorgt er sich Waffen und Kleider für seine Tat», sagt Wyss. Die letzte Phase, in der er dann Menschen tötet, ist ein langandauernder Gewaltausbruch. «Man nennt das Bewegungssturm, im Kopf des Amokläufers herrscht eine wahnsinnige Überspannung», so Wyss. Amokläufer, die ihre Tat überlebten, befänden sich danach in einem Zustand tagelanger Erschöpfung.
Mit der Rezession drohen mehr Amokläufe
Weil die Anzeichen eines Amoklaufes für Experten erkennbar sind, fordert Herbert Wyss ein externes Amokinterventionssystem an weiterführenden Schulen. «Besonders mit der aufkommenden Rezessionen, die zu vermehrten Spannungen führt, drohen uns mehr solche Amokläufe», sagt Wyss.