«Vor dem Kaiserschnitt spielte sie mit Puppen»

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11-Jährige in Argentinien«Vor dem Kaiserschnitt spielte sie mit Puppen»

Vergewaltigt und geschwängert im Alter von elf Jahren: Eine Ärztin beschreibt den Leidensweg eines Mädchens in Argentinien, während die Behörden tatenlos zusahen.

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Sol, die Mutter der elfjährigen Lucia aus Argentinien, erzählt am 2. Mai 2019 erstmals vom Leiden, dem die Ärzte ihre Tochter ausgesetzt haben.
Sol wirft den Behörden der Provinz Tucumán vor, den Weg zur Abtreibung «absichtlich» verzögert zu haben. «Ich sagte immer wieder, Lucia wolle das nicht. Aber er bettelte weiter, Lucia solle doch noch vier Wochen aushalten, damit das Baby bessere Überlebenschancen habe.»
Im Interview erzählt Sol, wie der Leiter des Gesundheitswesen der Provinz Tucumán, Gustavo Vigliocco, ihr versprach, ihr Haus fertigzubauen. «Eines Tages kam jemand und nahm das Blechdach weg, um es zu reparieren. Dann ging die Person wieder und kam nicht mehr zurück. Seither habe ich kein Zuhause mehr», sagt Sol.
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Sol, die Mutter der elfjährigen Lucia aus Argentinien, erzählt am 2. Mai 2019 erstmals vom Leiden, dem die Ärzte ihre Tochter ausgesetzt haben.

Screenshot La Gaceta

«Dieses Kind wurde wochenlang durch die Behörden gefoltert.» Die Frauenärztin Cecilia Ousset, die in der Provinz Tucumán im Norden Argentiniens den Kaiserschnitt an einem elfjährigen Mädchen vorgenommen hat, findet klare Worte.

Das Mädchen war vom 66-jährigen Partner seiner Grossmutter vergewaltigt worden. Am 29. Januar brachte die Mutter die Elfjährige ins Spital. Dort stellten die Ärzte fest, dass sie bereits 19 Wochen schwanger war. Sie erzählte von den wiederholten Übergriffen und forderte, dass man ihr wegnehme, «was der alte Mann mir in den Bauch gelegt hat».

Ärztepaar tat, was niemand tun wollte

Auch die Familie forderte die sofortige Beendigung der Schwangerschaft. Ein Gesetz in Argentinien aus dem Jahr 1921 erlaubt im Fall von Vergewaltigung oder Gefahr für das Leben der Mutter einen legalen Abbruch. Doch im erzkonservativen Tucumán versuchten die Behörden zunächst, die «beiden Leben zu retten». Und so wies die Staatsanwältin Adriana Giannoni – trotz Vergewaltigung – die Klinik an, die Schwangerschaft nicht abzubrechen.

Es vergingen fünf Wochen, bis Cecilia Ousset vergangenen Dienstagnachmittag den Anruf des provinzialen Gesundheitssekretärs erhielt. Er erklärte, dass aus Gewissensgründen niemand den Schwangerschaftsabbruch vornehmen wolle. Ousset und ihr Mann José Gigena sind beide Frauenärzte – und sie zögerten nicht lange. Gegen 22 Uhr erreichten sie das staatliche Spital Eva Perón.

Unterwäsche konnte erst nach Betäubung entfernt werden

«Als ich ins Zimmer kam, hätte ich fast angefangen, zu weinen», erzählte Ousset im Interview mit «Infobae». Das Mädchen sass auf dem Spitalbett und spielte mit Puppen. «Sie ist sehr klein, hat noch einen unentwickelten Körper und wiegt kaum 50 Kilo», beschreibt die Ärztin die erste Begegnung.

Um ihre Gesundheit stand es nicht gut: Das Mädchen hatte einen sehr hohen Blutdruck. «Ich entschied, einen Kaiserschnitt zu machen, weil eine Abtreibung nach so vielen Übergriffen nicht angebracht war», so Ousset. Ausserdem war das Kind in einem sehr schlechten psychischen Zustand: In den vergangenen Wochen war es mit Selbstverletzungen ins Spital gebracht worden. Um sie für den Eingriff vorbereiten zu können, mussten die Ärzte die Kleine betäuben. «Sie liess nicht zu, dass man ihre Unterwäsche auszog. Das ist bei Opfern sexuellen Missbrauchs üblich.»

Das Baby wird wohl kaum überleben

Im OP-Saal erlebten Cecilia Ousset und ihr Mann den nächsten Schock: Das Personal weigerte sich, den Eingriff durchzuführen, und verliess den Saal. «Mein Mann musste den Kaiserschnitt machen und ich übernahm die Rolle der Assistentin, die die Instrumente reicht. Eine Bekannte von uns kam als Anästhesie-Ärztin zum Einsatz.»

Das nur 600 Gramm schwere neugeborene Mädchen hat den Kaiserschnitt überlebt, seine Überlebenschancen sind aber gering. Die elfjährige Mutter befindet sich in zufriedenstellendem Gesundheitszustand. Doch der Fall ist damit noch nicht zu Ende: Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International und vier weitere Organisation greifen die Gesundheitsbehörden in Argentinien an. Sie fordern, dass die Behörden für «die zahlreichen Verstösse und die institutionelle Gewalt, der die Elfjährige ausgesetzt wurde, zur Rechenschaft gezogen werden».

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