Impfgegner-BlockadeGefährden Youtube und Pinterest die Demokratie?
Grosse Online-Plattformen benachteiligen Inhalte von Impfgegnern. Korrektes Vorgehen gegen Falschinformationen oder Eingriff in die Meinungsfreiheit?
Die Video-Plattform Youtube will künftig keine Werbung mehr vor Videos schalten, in denen gegen den Nutzen von Impfungen argumentiert wird. Den Impfgegnern, die diese Form von Präventivmedizin als nutzlos oder gefährlich einstufen, entfallen so Einnahmen in nicht absehbarer Höhe, wie die BBC am Montag berichtete.
Zeitgleich kündigte das soziale Netzwerk Pinterest an, das Thema Impfen komplett aus seinen Suchergebnissen zu entfernen, wie Spiegel online schreibt. Beiträge von Impfgegnern und -befürwortern sind damit zwar weiterhin direkt abrufbar, tauchen jedoch nicht mehr in den vorgeschlagenen Inhalten auf.
«Ein Angriff auf die Demokratie»
Hernâni Marques, Vorstand und Pressesprecher der Schweizer Hackervereinigung Chaos Computer Club, betrachtet diese Entwicklung kritisch. Zwar könne man diese Eingriffe nicht verbieten, zumal es sich um private Dienste handle, aber: «Wenn Youtube die Anbieter solcher Inhalte benachteiligt, dann ist das wegen des Quasi-Monopols von Youtube ein Angriff auf die Demokratie.» Marques erachtet den Eingriff von Youtube als ungerechtfertigt: «In einer freiheitlichen Gesellschaft muss man sämtliche Meinungen aushalten können. Also auch jene von Impfgegnern.»
Auch Stefan Thöni von der Piratenpartei Zentralschweiz sieht die Meinungsfreiheit beschnitten: «Private, kommerzielle Onlineplattformen sollen sich nicht als Moralhüter aufspielen, sondern demokratische Prozesse darüber entscheiden lassen, wie mit heiklen Themen umgegangen werden soll.»
Andere heikle Themen seien zum Beispiel rassistische Inhalte, Sexismus, die angebliche Gefahrlosigkeit des Rauchens oder die Infragestellung des Klimawandels. «Es ist wichtig, dass wir hier als Gesellschaft Antworten finden und uns unsere Weltsicht nicht von Social-Media-Giganten vorschreiben lassen.»
«Privatjustiz und eine Gefahr für den Rechtsstaat»
Martin Steiger von der Digitalen Gesellschaft in Basel erachtet den Werbeentzug per se nicht als problematisch:
«Wir halten es nicht für ein Grund- und Menschenrecht, bei Youtube mit Werbung Geld zu verdienen.»
Doch sieht auch er die Meinungsfreiheit betroffen: «Bei einer mächtigen Plattform wie Youtube ist es nicht mehr nur Privatsache, welche Inhalte zugelassen werden.»
Im vorliegenden Fall spricht Steiger von «Privatjustiz» und einer «Gefahr für den Rechtsstaat». Es bestehe aber auch eine Gefahr für die Demokratie, wenn «mächtige Internetunternehmen den virtuellen öffentlichen Raum kontrollieren».
Richtlinien bei «schädlichen und gefährlichen Handlungen»
Auf Anfrage von 20 Minuten verweist Youtube auf seine internen Richtlinien zum Umgang mit heiklen Videos. Man unterscheide grundsätzlich zwischen illegalen und problematischen Inhalten. Die hochgeladenen Videos – aktuell seien das bis zu 600 Stunden Material pro Minute – würden digital und manuell gesichtet.
Bei Verstössen stehen eine Anzahl von Sanktionen zur Auswahl. Im Falle von illegalen Inhalten reagiert Youtube mit Löschen des Videos und Sperren des Users oder Kanals. Bei problematischen Inhalten seien Warnhinweise, die Verhängung von Alterslimiten oder die sogenannte Demonetarisierung möglich. Für diesen Fall, bei dem keine Werbungen mehr geschaltet werden, gilt das Reglement «Richtlinien für werbefreundliche Inhalte», das 20 Minuten vorliegt.
Frühere Fälle von Werbeentzug
Unter dem Punkt «Schädliche oder gefährliche Handlungen» ist zu lesen: «Bei Videos, die schädliche oder gefährliche Handlungen umfassen, die zu ernsthaften körperlichen, emotionalen oder psychischen Schäden führen können, kann keine Werbung eingeblendet werden.» Impfgegner seien durchaus in diese Gruppe einzustufen, zumal nicht geimpfte Kinder ein Gesundheitsrisiko für andere Kinder darstellten.
Youtube legt Wert auf die Feststellung, dass dieses Reglement nicht neu sei (und im Januar 2018 verschärft worden sei) und dass es frühere Fälle von Werbeentzug gebe. Der Impfgegner-Kanal «vaxxed tv» sei bereits seit längerem für Werbung gesperrt. Für eine Beteiligung an Werbeeinnahmen besteht zudem eine erste Hürde, die verlangt, dass man 1000 Abonnenten und 4000 Stunden «watchtime» in den vergangenen zwölf Monaten vorweisen kann.
«Keine schädlichen oder irreführenden Inhalte»
Auf Anfrage von 20 Minuten begründet Pinterest seine Such-einschränkungen zum Thema Impfen damit, dass die Plattform ihre User «mit nützlichen und relevanten Ideen» inspirieren wolle und «keine schädlichen oder irreführenden Inhalte im Bereich Gesundheit und Sicherheit» dulde.
Eine vergleichbare Herangehensweise, Inhalte von Impfgegnern und Impfbefürwortern nicht mehr in der Suchabfrage anzuzeigen, gelte bei Pinterest für eine «Vielzahl an Themen, einschliesslich irreführender Behandlungsempfehlungen für Krebs, Impfungen und Essstörungen».