«Ich fürchte mich schon jetzt vor Weihnachten»

Aktualisiert

Psychische Belastung«Ich fürchte mich schon jetzt vor Weihnachten»

Für manche ist das Fest der Liebe ein Fest voller Stress und Leid. Die Universitären Psychiatrischen Dienste Bern bieten deshalb erstmals ein kostenloses Seminar an.

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Nicht alle freuen sich auf die Festtage. Für manche bedeuten diese eine Stresssituation.
So etwa für 20-Minuten-Leserin Francesca.
«Ich fürchte, Weihnachten wird nie wieder dasselbe sein ohne meinen Bruder.» Die 28-Jährige hat vor mehreren Monaten ihren Bruder verloren.
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Nicht alle freuen sich auf die Festtage. Für manche bedeuten diese eine Stresssituation.

Keystone/Peter Klaunzer

«Ich fürchte, Weihnachten wird nie wieder dasselbe sein ohne meinen Bruder.» Francesca (28) hat vor mehreren Monaten ihren Bruder verloren. Bei einem Verkehrsunfall verlor der damals 33-Jährige sein Leben. Die Familie habe sich seither etwas erholt: «Aber ich fürchte mich schon jetzt vor Weihnachten.» Das Fest der Liebe werde in ihrer Familie traditionell richtig zelebriert. Da würden Verwandte aus dem In- und Ausland kommen, teilweise für mehrere Tage bleiben: «Man verbringt viel Zeit miteinander, teilt Nähe. Alles, was ich früher daran so liebte, macht mir jetzt Angst.»

Die Lücke, die ihr Bruder in der Familie hinterlassen habe, werde an Weihnachten allgegenwärtig sein: «Im Alltag lässt sich der Schmerz gut kaschieren, die Lücke mit Ablenkung füllen.» Sie habe sich gar schon überlegt, die Familienweihnachten auszusetzen, wegzufahren: «Aber ich kann meine Eltern nicht mit dem Schmerz allein lassen.»

Das Weihnachtsfest als Stress

Francesca ist nicht die Einzige, die sorgenvoll auf die Festtage blickt. Laut Christian Burr, Pflegeexperte bei den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern (UPD), wird das Fest der Liebe oft auch als Belastung wahrgenommen. Gerade für Menschen mit psychischen Problemen wie Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen, aber auch für Autisten oder Menschen, die sich in einer Trauerbewältigung befinden, könne Weihnachten belastend sein.

Wenn die Familie zusammenkomme, könne das neben positiven Gefühlen auch negativen Stress auslösen, sagt Burr. «Erwartungen können enttäuscht werden. Plötzlich stehen schwierige Themen im Raum.» Die UPD will Betroffenen mit einem Gruppenseminar Hand bieten. Dieses findet am 19. Dezember unter dem Titel «Mit den Festtagen zurechtkommen» statt und ist kostenlos: «Es ist ein Seminar im Rahmen unseres neuen Projekts Recovery College. Wir wollen damit erste Erfahrungen sammeln.»

Ziel: Lerneffekt

Im Seminar werden neben Betroffenen und Fachpersonen auch sogenannte Peermitarbeiter teilnehmen. Das sind Menschen, die selber betroffen waren und heute ihr Wissen und ihre Erfahrungen professionell weitergeben. Sabine Heiniger vom Recovery College der UPD ist eine dieser Peermitarbeiter. Sie selber weiss, wie es ist, mit einer «psychischen Erschütterungserfahrung» durch die Zeit der Festtage zu gehen. «Es kann unglaublich wertvoll sein, im direkten persönlichen Austausch mit anderen Menschen zu merken, dass man nicht allein ist mit den Herausforderungen der Feiertage.»

Das Ziel des Seminars sei, individuelle Lösungsstrategien für Schwierigkeiten der einzelnen Teilnehmer zu erarbeiten. Es müsse niemand sprechen: «Manchmal hilft bereits das Zuhören.» Es sei wichtig zu erwähnen, dass das Seminar bewusst kein Therapieangebot biete, sondern ein Lernangebot für psychische Gesundheit und persönliche Weiterentwicklung. «Es geht um Bildung – nicht um Therapie», erklärt Heiniger. In Zukunft sollen am Recovery College vermehrt solche Angebote geschaffen werden.

20-Minuten-Leserin Francesca begrüsst dies. «Solche kleinen und niederschwelligen Hilfsangebote sind wichtig für Betroffene.» Sie überlege sich gar, am Seminar teilzunehmen.

Suizidgedanken? Hier finden Sie Hilfe

Beratung:

Dargebotene Hand, Tel. 143, (143.ch)

Angebot der Pro Juventute: Tel. 147, (147.ch)

Kirchen (Seelsorge.net)

Anlaufstellen für Suizid-Betroffene:

Nebelmeer – Perspektiven nach dem Suizid eines Elternteils (Nebelmeer.net);

Refugium – Geführte Selbsthilfegruppen für Hinterbliebene nach Suizid (Verein-refugium.ch);

Verein Regenbogen Schweiz (Verein-regenbogen.ch).

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