«Dann können sie uns ja grad so gut erschiessen»

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Albinen VS«Dann können sie uns ja grad so gut erschiessen»

Das Walliser Dorf Albinen will mit Geldgeschenken junge Bewohner anlocken. Die Idee ist umstritten. Augenschein in einem gespaltenen Bergdorf.

von
cho

In Albinen ist es zwischen den Häusern menschenleer. (Video cho)

Der Bus von Leukerbad nach Albinen VS ist am Montagmittag menschenleer – mit Ausnahme des Fahrers, der bereits sein ganzes Leben in Albinen wohnt: «Früher haben wir täglich viele Fahrgäste transportiert. Aber damals sah man ja auch noch Kinder im Dorf. Heute sind es keine zehn mehr.» Das urchige Dorf mit seinen 250 Seelen wird am 30. November über eine umstrittene Wohnbauförderung abstimmen. Mit Geld sollen junge Menschen – vor allem Familien – ins Dorf gelockt werden (siehe Box).

Wer nach 20-minütiger Fahrzeit im Dorfzentrum aussteigt, merkt: Die Stille ist hier allgegenwärtig. Nicht nur Kinder scheinen rar im Walliser Dorf, generell bekommt man kaum Menschen zu Gesicht. Im Ort begegnet man mehr «Immobilie zu Verkaufen»-Schildern als Bewohnern.

Strom und Wasser sind teuer

«Sie wollen wissen, was ich über die Wohnbauförderung denke?», sagt eine 85-jährige Frau, nachdem sie nach zweimaligem Klopfen die Türe öffnete. «Über eine solch hirnverbrannte Idee spreche ich nicht an der Türe – kommen Sie rein», sagt die Frau mit streng zurückgebundenen, weissen Haaren. Drinnen hängen mehrere Rosenkränze an der Wand. «Ich bin nicht gegen die Jungen. Aber Geldanreize in einer solchen Höhe – das ist zu viel», sagt die Frau, die ihren Namen nicht nennen will. Sie glaubt, dass die Urversammlung am 30. November die Initiative annehmen wird. Die Jungen im Dorf würden nicht mehr auf die Alten hören, meint die Seniorin. «Da können sie uns grad so gut erschiessen.»

Es klingelt an der Türe. Thomas Briand (72) kommt zu Besuch. Er hat sein Leben lang im Dorf als Schreiner gearbeitet und bezeichnet die Wohnbauförderung als Schmarren: «Den Jungen würde wohl eher helfen, wenn sie weniger für Strom und Wasser zahlen müssten – das ist teuer hier.» Bei der Diskussion über die Initiative wird es laut in der stillen, alten Küche – obschon sich die beiden einig sind.

Keine Käufer in Sicht

Die Küche liegt in einem alten Chalet mitten im Dorf. Verwinkelte Gassen, urchige Bauten, prächtige Bergspitzen – Albinen ist ein Bergdorf wie im Bilderbuch. Selbst der Friedhof wirkt dank der feinen Schneedecke an diesem sonnigen Tag romantisch. Vor den Grab-Kruzifixen, alle schön in Reih und Glied aneinandergereiht, steht das Ehepaar Ellenberger aus Riehen BS. «Es braucht unbedingt Anreize. Wir wollen unsere 2,5-Zimmer-Wohnung verkaufen – bisher erfolglos», sagt Armin Ellenberger (76). 140'000 würden sie dafür verlangen. «Es kann ja nicht sein, dass wir weniger dafür bekommen, als meine Eltern 1973 dafür bezahlt haben», meint Gattin Susanne(75).

Einmal Stadt, immer Stadt

Wer im Dorf mit den wenigen auffindbaren Seelen spricht, merkt schnell: Albinen ist gespalten. Während die einen das Vorhaben vehement ablehnen, verteidigen es andere aufs Blut. Doch es zeigt sich auch, dass nicht alle Jungen automatisch dafür sind: «Egal ob mit oder ohne Geldanreiz, ich weiss schon jetzt, dass ich hier wegziehen werde und zwar bald», sagt eine junge Frau in den Zwanzigern, die gerade ihre Skier aus dem Auto lädt. Sie glaubt nicht, dass Menschen wieder zurück ins Dorf kommen, erst recht nicht jüngere: «Wer einmal alle sechs Minuten ein Tram oder Bus hatte, wird hier nie glücklich werden.»

Als die Sonne hinter der Bergkette verschwindet und jüngere Menschen nach der Arbeit im Talgrund ins Dorf finden, treffen sich einige von ihnen im Dorfladen. Silvan Mathieu kauft eine Kiste Bier: «Es braucht diese Anreize. In den letzten zehn Jahren haben wir unglaublich viele junge Bewohner verloren.» Er würde selber auch davon profitieren: «Mit dem Geld würde ich mir eine Wohnung kaufen», so der 28-Jährige. Denn er wolle noch lange hier leben – aber lieber in Gesellschaft.

Initiative der Jungen

Im Kampf gegen die Abwanderung will Albinen tief in die Gemeindekasse greifen. Bau- und Kaufwillige bis 45 sollen von einer einmaligen Wohnbauförderung profitieren. Dies unter der Bedingung, dass sie sich im Dorf für zehn Jahre niederlassen und hierfür mindestens 200'000 Franken investieren. Pro Erwachsenem gäbe es 25'000, pro Kind 10'000 Franken.

Das Anliegen wurde von jungen Bewohnern aus Albinen als Initiative eingereicht. 94 Bürger haben diese unterzeichnet. Am 30. November stimmt die Bevölkerung an der Urversammlung darüber ab.(cho)

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