«2 von 21 Kindern können ‹guten Morgen› sagen»

Aktualisiert

Lehrer sind gefordert«2 von 21 Kindern können ‹guten Morgen› sagen»

Viele Kinder können bei der Einschulung kein Deutsch. Während die einen Deutschkurse für Vorschulkinder fordern, sieht eine SP-Politikerin die Lösung in kostenbefreiten Kita-Plätzen.

von
jk
Schweizweit kommt inzwischen jeder dritte Volksschüler aus einem Elternhaus, in dem eine andere Sprache als in der Schule gesprochen wird. Das berichtet die «SonntagsZeitung».
Die Kindergärtnerin F. R.* (24) aus der Region Zürich kennt solche Schwierigkeiten: «Von insgesamt 21 Kindern meiner neuen Klasse sind zwei in der Lage mir ‹guten Morgen› zu sagen.
Nun wird die Forderung laut, dass nur Kinder mit ausreichenden Deutschkenntnissen eingeschult werden sollen. (Symbolbild)
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Schweizweit kommt inzwischen jeder dritte Volksschüler aus einem Elternhaus, in dem eine andere Sprache als in der Schule gesprochen wird. Das berichtet die «SonntagsZeitung».

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Schweizweit kommt inzwischen jeder dritte Volksschüler aus einem Elternhaus, in dem eine andere Sprache als in der Schule gesprochen wird. Das berichtet die «SonntagsZeitung». Darunter seien viele ohne hinreichende Deutschkenntnisse. Der Ex-Präsident der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) und Nationalrat der LDP, Christoph Eymann, gibt gegenüber der Zeitung an, es brauche deshalb schweizweit vor der ­Einschulung obligatorische Sprachförderkurse. Im Kanton Basel-Stadt sind diese bereits Realität.

Die Kindergärtnerin F. R.* (24) aus der Region Zürich kennt solche Schwierigkeiten: «Von insgesamt 21 Kindern meiner neuen Klasse sind 2 in der Lage, mir ‹guten Morgen› zu sagen. Der Rest kann überhaupt kein Deutsch.» Die Vorbereitung des Unterrichts sei viel aufwändiger, so müsse alles anhand von Bildern oder Piktogrammen erklärt werden. R. wünscht sich deshalb mehr Ressourcen für Lehrpersonen – etwa in Form von Unterstützung durch eine Klassenassistenz, damit in Halbklassen gearbeitet werden könnte.

«Schulstoff muss extremst vereinfacht werden»

«Die Kinder lernen in der Regel schnell Deutsch und sind motiviert. Doch als Lehrperson muss man den Schulstoff zu Beginn extremst vereinfachen, damit alle mitkommen», sagt R. Das führe dazu, dass die restlichen Schüler unterfordert seien.

Deutschkurse für Kinder im Vorschulalter befürwortet die junge Lehrerin. Da zudem die Kommunikation mit den Eltern herausfordernd sei, könnten diese gleich in die Deutschkurse mit einbezogen werden: «Dann müsste ich für die Elterngespräche keine Hilfe von Dolmetschern in Anspruch nehmen oder die Elternbriefe in verschiedenste Sprachen übersetzen.»

Lehrerverband unterstützt Vorschuldeutschkurse

Diese Idee unterstützt auch Dagmar Rösler, Präsidentin des Verbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz LCH: «Spielgruppen mit gezieltem Deutschunterricht ein halbes Jahr vor Kindergarten- oder Schuleintritt sind ein guter Ansatz. Am besten sollten die Eltern sie begleiten dürfen.» Denn wenn zuhause ausschliesslich die jeweilige Muttersprache gesprochen werde, sei es für die Kinder zusätzlich schwierig, schnell Deutsch zu lernen. Klar ist auch für den LCH: Handlungsbedarf besteht. In Städten und der Agglomeration nehme das Problem mangelnder Deutschkenntnisse bei den jüngsten Schülern seit einigen Jahren zu, so Rösler.

Für Lehrpersonen werde es immer schwieriger, allen Kindern gerecht zu werden: «Lernen fremdsprachige Kinder in der Schule Deutsch, fehlen sie einige Stunden wöchentlich im Regelunterricht und verpassen da Lernstoff.» Zudem seien vor allem die ersten vier Lebensjahre entscheidend. «Je früher Deutsch gelernt wird, desto besser. Was bis ins Kindergartenalter nicht angeeignet wurde, ist schwierig aufzuholen», sagt Rösler.

Kostenbefreite Kitaplätze

SP-Nationalrätin und Berufsschullehrerin Martina Munz findet Deutschkurse als alleinige Massnahme verfehlt. Sie fordert kostenbefreite Kita-Plätze: «Nur in diesem Rahmen kann eine vollumfängliche Integration gelingen.» Das Erlernen der Sprache solle in diesem Alter spielerisch und nicht in Kursen erfolgen. Zudem sei Sprachkompetenz bei der frühen Förderung nicht alles: «Es geht auch um den Austausch mit anderen Kindern.» Aspekte der Gesundheits- und Armutsprävention sowie soziale und mentale Schwierigkeiten der Kinder müssten mit einbezogen werden. Munz denkt etwa an zwei Kita-Besuchstage in der Woche.

Anders als Rösler sieht Munz kein Problem darin, dass die Kinder zu Hause ausschliesslich in ihrer Muttersprache kommunizieren. «Nur wenn ein Kind mindestens eine Sprache – in diesem Falle die Muttersprache – korrekt beherrscht, gelingt es ihm, auf solider Basis weitere Sprachen zu erlernen.» Eltern aus prekären Verhältnissen sollten aber die Möglichkeit haben, Deutschkurse unabhängig von ihren Kindern besuchen zu dürfen – ebenfalls kostenbefreit.

Investition in die Zukunft

Betreffend Kosten sind sich Rösler und Munz einig. Frühförderung falle primär ins Aufgabengebiet der Kantone und Gemeinden. Unterstützung vom Bund als Anschubfinanzierung sei wünschenswert und bereits in Vorbereitung. «In meinen Augen ist Unterstützung vom Bund als Anschubfinanzierung unbedingt notwendig», fügt Rösler an.

«Zuerst klingt es vielleicht nach hohen Ausgaben, doch der Bildungsnachteil wegen fehlender Sprachkenntnisse beim Schuleintritt kann das Leben lang nicht mehr aufgeholt werden», sagt Munz. Eine Berufsausbildung zu absolvieren sei unter diesen Umständen viel schwieriger. «So sind Betroffene öfter in prekären Lebenssituationen und werden vermehrt sozialhilfeabhängig.»

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