Bessere Menschen?«Auch vegane Ernährung erzeugt Umweltprobleme»
Veganer machten die Welt besser, sagen Menschen, die auf tierische Produkte verzichten. Laut Experten ist das eine verklärte Sicht.
Am Ende landet doch der Quinoa-Salat auf dem Teller – und nicht das saftige Steak. Den eigenen Appetit hinter das Tierwohl zu stellen, ist für echte Veganer selbstverständlich. Manche von ihnen propagieren ihre Ernährungsweise, die alle tierischen Produkte ausschliesst, mit grossen Worten. «Jeder Veganer ist durch den Veganismus ein besserer Mensch, als er ohne den Veganismus wäre», behauptet etwa die Stiftung Pro Vegan auf ihrer Website.
Ähnliche Statements verbreiten Veganer in den sozialen Medien. So schreiben sie in den Kommentarspalten veganer Gruppen etwa: «Veganismus ist das Einzige, das die Welt retten würde auf lange Sicht», oder vegan sei ein guter Versuch, wirklich ehrlich und christlich zu leben. Und eine Veganerin, die erfahren hat, dass ein Supermarkt einen veganen Pizzakäse eingeführt hat, freut sich: «Da verbessert sich die Menschheit schön.» Auch Studien werden angeführt. So verursacht in Deutschland die Produktion von einem Kilo Schweineschinken fast siebenmal mehr Co2 als ein Kilo Tofu.
«Auch die pflanzliche Ernährung erzeugt Probleme»
Allesesser nehmen dagegen in Kauf, ein Tier für ihren Appetit sterben zu lassen und Milch von Kühen zu trinken, die nie eine Weide sehen. Auch akzeptieren sie, dass für die Fleisch-, Milch- und Eierindustrie weltweit zunehmend Wälder gerodet werden und Pestizide ins Trinkwasser sickern. Dennoch sieht es Hans-Ulrich Huber, Geschäftsführer des Schweizer Tierschutzes, nicht als Lösung, die ganze Menschheit zu Veganern umzuerziehen. «Agronomisch wäre eine vegane Weltgesellschaft nicht möglich, und für den Umweltschutz sähe ich schwarz», sagte er kürzlich im «Beobachter».
Selbst eine rein pflanzliche Ernährung erzeuge Umwelt- und Tierschutzprobleme, führt Huber gegenüber 20 Minuten aus. «Die Monokulturen im konventionellen Pflanzenbau benötigen Unmengen an chemischen Hilfsstoffen wie etwa Pestizide, die für Tiere schädlich sind.» Diese raubten zudem vielen Wildtieren die Lebensgrundlage und förderten damit das Artensterben. Gebe es keine Nutztiere mehr, falle der Dünger weg. «Man müsste in grossem Stil Stickstoff- Kunstdünger einsetzen, dessen Produktion irrsinnige Mengen an Klimagasen freisetzt.»
«Alpweiden verganden»
Laut Huber dürfte die verfügbare Ackerfläche der Schweiz für eine rein pflanzliche Versorgung der ständig wachsenden Bevölkerung kaum reichen. «Noch mehr Importe aus dem Ausland müssten die Lücken füllen.» Die Umweltemissionen, die durch den Transport entstehen, wirkten jedoch dem Klimaschutz entgegen.
Auch WWF-Schweiz-Sprecherin Corina Gyssler bezeichnet eine vegane Bevölkerung als unrealistisch. «Es ist eine Illusion zu glauben, man könne eine Kultur vollständig vom Konsum tierischer Produkte abhalten, die schon seit Ewigkeiten gastronomisch und kulinarisch vom Fleischkonsum geprägt ist.» Laut Gyssler ist die Tierhaltung auch wichtig für das Landschaftsbild. «Ohne Beweidung und Haltung von Wiederkäuern würde unser Alpenraum verganden.»
«Veganismus zu Ersatzreligion heraufbeschworen»
Immunologe und Religionskritiker Beda Stadler kritisiert, dass sich einige Veganer als Weltverbesserer sehen: «Veganer haben den Veganismus zu einer Ersatzreligion heraufbeschworen, mit der sie vor allem Macht ausüben wollen.» Dabei verstrickten sie sich in Widersprüche. «Schlimm ist ja, dass Veganer etliche Ersatzprodukte konsumieren, deren Produktion ebenso schädlich für die Umwelt sein kann.»
Wie Allesesser ziehen Veganer laut Stadler die Grenzen dort, wo es ihnen passt. So seien selbst Veganer, die zum Schutz der Bienen auf Honig verzichten, keine besseren Menschen. «Dass sie beim Velofahren gleichzeitig hunderte Insekten überfahren, lässt sie kalt.» Jeder Mensch, der sich als «Gutmensch» sehe, solle sich eine zentrale Frage stellen: «Denkst du schon, oder glaubst du noch?»
«Komplett pflanzliche Selbstversorgung wäre möglich»
Auch Vetreter der Veganer halten den Anspruch auf Weltrettung für übertrieben. «Auch Veganer verhindern das Tierleid nicht gänzlich. Wildtiere fressen einander immer noch auf», sagt Renato Pichler, Geschäftsführer des Vereins Swissveg. Da viele Missstände in der Welt nur mit finanziellen Mitteln bekämpft werden könnten, könne man auch als Veganer nur einen Teil davon beseitigen. «Denn nicht jeder Veganer hat die Möglichkeit für ein Elektroauto oder ist Hausbesitzer und kann sein Haus mit Solarzellen ausstatten.»
Fest davon überzeugt ist Pichler jedoch, dass es möglich wäre, die Schweizer Bevölkerung ausschliesslich vegan zu ernähren. «Würde die Milch- und Fleischindustrie abgeschafft, wäre eine komplett pflanzliche Selbstversorgung der Schweiz umsetzbar.» Heute werde ein Grossteil der Schweizer Landwirtschaftsfläche für den Futtermittelanbau verschwendet. «Dabei könnte man diese Flächen für den Anbau von pflanzlichen Nahrungsmitteln umnutzen.»
Aufruf zu bewusstem Konsum
Die Fachpersonen sind sich einig, dass sich Schweizer beim Einkaufen mehr das Tierwohl und die Umwelt vor Augen führen müssen. Vor jedem Veganer habe er eine hohe Achtung, sagt Hans-Ulrich Huber, Geschäftsführer des Schweizer Tierschutzes. «Da tierische Produkte immer gefragt sein werden, sollten die Konsumenten darauf achten, dass sie so wenig Fleisch wie nötig, aber so viele Bio-Produkte wie möglich essen.»
Auch der WWF empfiehlt eine reduzierten Konsum von tierischen Produkten, weil Tiere die Umwelt stärker belasten. Und Beda Stadler, Immunologe und Religionskritiker, fordert: «Im Umgang mit den Tieren, die wir essen, sollten wir humaner sein.»