Laizismus-Gesetz«Dann muss ich fünf Musliminnen entlassen»
Genf verbietet seinen kantonalen Angestellten religiöse Symbole. Muslime wollen klagen, Juden sind zufrieden. Und Freidenker hoffen, dass andere Kantone nachziehen.
Die Genfer Stimmberechtigten haben am Sonntag Ja gesagt zum umstrittenen Laizismus-Gesetz. Das bedeutet, dass in Zukunft kantonale Angestellte bei der Arbeit keine Kreuze, Kopftücher oder Kippas mehr tragen dürfen. Dies hatte zuvor schon das Parlament beschlossen, worauf vier verschiedene Gruppierungen das Referendum ergriffen.
Carole-Anne Kast, eine lokale Beamtin im Bezirk Onex, befürchtet, dass sie nun fünf Frauen entlassen muss, die einen Schleier tragen. «Es handelt sich um Frauen, die Kindern helfen, in die Schule zu kommen, oder sich nach den Schulstunden um Kinder kümmern. Was soll ich den Eltern dann sagen?», sagte sie im Vorfeld der Abstimmung zu Swissinfo.ch
Muslime wollen klagen, Juden sind zufrieden
Direkt betroffen ist auch die Politikerin Sabine Tiguemounine (Grüne), die im Parlament von Meyrin sitzt. Sie ist zurzeit die einzige gewählte Volksvertreterin in Genf, die einen Schleier trägt. «Ich bin guter Hoffnung, dass uns die Justiz Recht geben wird. Dieses Gesetz verstösst gegen die Schweizer Verfassung und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention», sagte die Krankenschwester gegenüber der Nachrichtenagentur SDA. Die Grünen hätten bereits Rekurs eingelegt.
Auch der Genfer Imam Vahid Khoshideh ist bitter enttäuscht. Er spricht von einer islamophoben Stimmung in der Schweiz im Allgemeinen und in Genf im Speziellen: «Das Gesetz ist für uns antidemokratisch und verfassungswidrig, aber wir müssen es akzeptieren.» Es spiele keine Rolle, wie viele Angestellte betroffen seien, er gehe aber von Dutzenden aus.
«Wir können den Glauben weiterhin ausüben»
Es sei paradox: Auf der einen Seite spreche man von der Gleichberechtigung der Frauen, von der Emanzipation, gleichzeitig schliesse man Frauen zu Hause ein, indem man sie davon abhalte, einen Job in der Verwaltung zu machen. Dagegen könne ein Mann mit einem Bart und den gleichen Überzeugungen wie eine Frau mit Kopftuch seinem Job weiterhin ungehindert nachgehen. Jede betroffene muslimische Frau werde nun schauen, wie es weitergehe: «Vielleicht beharren die Verwaltungen darauf, vielleicht sind sie kulant.» Ansonsten bleibe der Rechtsweg.
Über den Ausgang der Abstimmung erfreut ist dagegen Philippe Grumbach von der Israelitischen Gemeinschaft Genf: «Es ist gut und richtig, dass Staat und Religion getrennt werden.» Für ihn sei es selbstverständlich, dass Lehrer oder Ärzte während des Dienstes weder Kippa noch Schleier tragen würden. Die Kritik der Muslime kann Grumbach nicht nachvollziehen: «Christen, Juden und Muslime können ihren Glauben weiterhin ausüben.» Problematisch werde es erst, wenn das Tragen religiöser Symbole im öffentlichen Raum verboten würde. Auch die katholische und reformierte Kirche in Genf hatten sich im Vorfeld für das Laizismus-Gesetz ausgesprochen.
Andere Kantone sollen nachziehen
Andreas Kyriacou, Präsident der Schweizer Freidenker, sagt: «Menschen, die für den Staat arbeiten, sollten gegen aussen neutral auftreten.» Erwecke die Person hinter dem Schalter den Eindruck, dass ihre eigene Weltanschauung so wichtig sei, dass sie sie zur Schau stellen müsse, könne dies Misstrauen wecken.
Kyriacou würde es begrüssen, wenn andere Kantone nachziehen würden. Schlussendlich müsse aber jeder Kanton für sich selber entscheiden. Islamfeindlich oder rassistisch sei das Gesetz keinesfalls, da alle Religionen gleich behandelt würden, findet Kyriacou: «Muslima werden ja nicht einfach entlassen. Sie können wählen, ob sie sich an die neue Kleidungsvorschrift halten oder ihren Tätigkeitsbereich wechseln wollen.» Diejenigen, die nun mit Prozessen drohten, würden den vielen muslimischen Frauen schaden, die in der Arbeitswelt ohne Kopftuch erfolgreich sein wollen. «Sie tragen dazu bei, dass Arbeitgeber muslimische Frauen pauschal etwa wegen ihres arabisch klingenden Namens ablehnen.»
Politologe Thomas Milic glaubt zwar, dass Genf mit seiner strikt laizistischen Tradition ein Sonderfall ist. Aber: «Ähnliches ist in anderen Kantonen der französischsprachigen Schweiz auch denkbar, etwa in Neuenburg.» Weiter zeige das Resultat, dass Initiativen, die sich gegen religiöse Symbole wenden würden, «selbst in urbanen Kantonen mit einer starken Linken eine Chance haben – zumindest dann, wenn sie ihre Anliegen als laizistische Forderungen formulieren, die sich nicht gegen eine bestimmte Religion, sondern gegen Zeichen aller Religionen im öffentlichen Dienst stellen».