Lokführer über Gotthardtunnel«Es ist, als würde man auf Wolken fahren»
Die ersten Züge sind heute Mittag durch den Gotthard gefahren. Roland Gerber hat ihn allerdings schon Dutzende Male durchquert.
Bevor die ersten Passagiere durch den Gotthard-Basistunnel fahren konnten, waren Dutzende von Tests nötig. Die Strecke musste absolut sicher sein. Insgesamt 30 Lokführer fuhren sie deshalb seit November immer wieder ab. Einer von ihnen ist Roland Gerber (47), seit 26 Jahren Lokführer, davon auch einige Jahre als Ausbildner. Heute ist er im Sicherheitsmanagement der SBB tätig, wo er Vorschriften und Checklisten für Lokführer entwirft. Er war bereits einer der Ersten, der die Neubaustrecke zwischen Bern und Olten befahren durfte.
Nun soll Gerber seine Erfahrungen in die Erstellung der Vorschriften für die Lokführer einfliessen lassen, die den Gotthard-Basistunnel befahren werden. Mittlerweile ist er über 60-mal durch das Gesteinsmassiv gefahren. Die erste Fahrt fand im November nach einer mehrtägigen Ausbildung statt. «Das war für mich eine riesige Ehre, man kann sogar sagen, ein Privileg», erzählt er strahlend. Ein mulmiges Gefühl habe er nie gehabt. «Eher freudige Erwartung.» Und seine Familie fieberte mit: «Als ich das erste Mal durch war, gab es natürlich einen Anruf nach Hause.»
«Bahnhöfe» 2,5 Kilometer unter der Oberfläche
Obwohl geplant ist, dass Passagierzüge mit rund 200 km/h durch den Tunnel fahren, müssen die Schienen auch mehr aushalten können. «So kann man, sofern das Fahrzeug dazu fähig ist, etwa bei einer Verspätung auf 250 km/h erhöhen, um Zeit aufzuholen.» Damit die Sicherheit dann noch garantiert ist, wurden die Geleise mit einer Geschwindigkeit von 275 km/h getestet. Gerbers Fahrt war deshalb ein «Extremerlebnis», wie er sagt. «Wir waren in zwölf Minuten wieder draussen.» Bei einer Geschwindigkeit von 200 km/h dauert die Durchfahrt rund 20 Minuten.
Gerber ist von der neuen Strecke begeistert. «Die Schienen sind perfekt verlegt, es fühlt sich an, als würde man auf Wolken fahren. Das ist echte Ingenieurskunst.» Obwohl sich die Zugstrecke 57 Kilometer durch den Berg winde, lohne sich auch der Blick aus dem Fenster. «Die Multifunktionsstellen sehen aus wie Bahnhöfe, mit Beschilderung und Perron – und das rund zweieinhalb Kilometer unter der Oberfläche.» In erster Linie dienen die Stollen in Sedrun und Faido zur Evakuierung von Reisenden.
Neues System verändert Prozesse
Heute werden Gerber und die 29 anderen Test-Lokführer die Fahrten während des Publikumsanlasses durchführen. Der erfahrene Bähnler ist gespannt: «Das sind keine Pendler, die dann mitfahren. Die Leute haben den ganzen Tag Zeit und werden wohl viele Fotos machen. Wir haben allerdings einen engen Fahrplan.» Der Publikumsanlass wurde deshalb bereits im Vorfeld simuliert – ohne Fahrgäste. Hilfreich sei dies dennoch gewesen, da für den Anlass Extra-Perrons errichtet worden seien.
Für Gerber ist der neue Basistunnel ein Fortschritt, zumal er auch mit dem neuen Europäischen Zugsicherheitssystem ETCS (European Train Control System) ausgestattet ist. Damit hätten sich im Vergleich zu früher viele Betriebsprozesse komplett verändert. Die Testfahrten trugen deshalb auch dazu bei, dass sich sämtliche Betroffenen mit dem neuen System vertraut machen konnten.
«Das Besondere erscheint in den Gedanken»
Doch auch für die Reisenden hat das Jahrhundertbauwerk Auswirkungen: «Das Tessin wird der Deutschschweiz spürbar näher kommen. Es wird plötzlich Leute geben, die täglich zwischen dem Süden und dem Norden pendeln.» Das hat seinen Preis: «Dass man das Naturschauspiel der alten Strecke nicht mehr zu sehen bekommt, ist ein Verlust. Früher war die Reise das Ziel. Das fällt jetzt weg.»
Doch Gerber ist vom Basistunnel fasziniert. Und das hat nichts mit der Aussicht zu tun: «Schlussendlich ist es einfach ein Loch wie jeder andere Tunnel auch. Das Besondere daran erscheint in den Gedanken während der Fahrt.»