«Für eine Stunde Sex kriegst du 162 Franken»

Aktualisiert

Prostitution«Für eine Stunde Sex kriegst du 162 Franken»

Was für einen Wert hat mein Körper? In einem Zürcher Erotikclub lasse ich meinen Marktwert schätzen.

von
Désirée Pomper
Wie viel Geld erhalten Sexarbeiterinnen in der Schweiz für ihren Körper? Für den fünften Teil der 20-Minuten-Körper-Reportage lasse ich in einem Zürcher Erotikclub meinen Marktwert schätzen.
Der Lohn wird aber nicht einfach so per Whatsapp preisgegeben.
In einer fünfteiligen Serie geht 20 Minuten der Frage nach: Was für einen Wert hat mein Körper?
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Wie viel Geld erhalten Sexarbeiterinnen in der Schweiz für ihren Körper? Für den fünften Teil der 20-Minuten-Körper-Reportage lasse ich in einem Zürcher Erotikclub meinen Marktwert schätzen.

Andras D. Hajdu

Blut spenden? Kein Problem. Meine Haare für Geld opfern? Warum nicht. Meine Eizellen für 1000 Euro spenden? Nein, mein Erbgut bleibt bei mir. Eine Niere hergeben? Spenden ja, verkaufen nein. Aber meinen Körper zur Befriedigung von Männern verkaufen? Undenkbar.

Doch wie viel verdienen Sexarbeiterinnen in der Schweiz eigentlich? Ich kontaktiere per Whatsapp einen grossen Schweizer Saunaclub. Eine Antwort auf die Frage gibt es hier aber keine.

Per Whatsapp gibt es beim Saunaclub keine Antwort auf die Frage, wie viel Sexarbeiterinnen hier verdienen.

Also versuche ich es bei einem anderen Etablissement.

Ich wähle die Nummer des «besten Erotikstudios» in Zürich, das «aufgestellte Girls» zwischen 18 und 32 mit Schweizer oder EU-Pass sucht. Die Mädchen erwarte «ein super Arbeitsklima» und ein «Schnuppertag mit sorgfältiger Einführung für Anfängerinnen». Aber bevor sie mit dem Lohn rausrückt, will Geschäftsführerin Claudia* zuerst Fotos sehen. Nein, Nacktbilder seien nicht zwingend. Einzige Bitte: «Kein Photoshop.» Sie fragt nach Grösse, Gewicht und Alter. Ich frisiere die letzten beiden Zahlen etwas nach unten und schicke Fotos, die schon einige Jahre zurückliegen. Claudia bittet zum Treffen.

Mein Herz im gepimpten Décolleté klopft lauter als vor meinem ersten Bundesratsinterview. Ich streife den Ehering ab und trete durch die offene Tür des gepflegten Hauses in einem angesagten Quartier. Die Fenster sind abgedunkelt, es riecht nach abgestandenem Zigarettenrauch. Zierliche Frauen in Spitzenunterwäsche sitzen in der Garderobe. Ihre Beine sind kürzer als die auf den Bildern der Club-Website. In der Lounge läuft ein Porno ohne Ton. Es ist 16 Uhr.

Serie: Was für einen Wert hat mein Körper?

Teil 1: Ein Konfibrot für mein Blut

Teil 2: Wie viel zahlst du für mein langes Haar?

Teil 3: 1000 Euro für eine Eizellenspende in Spanien

Teil 4: Das illegale Geschäft dubioser Nierenhändler

Teil 5: «Für eine Stunde Sex gibt es 162 Franken»

Claudia ist noch keine 30, trägt Brille, Hotpants, ein schlichtes Shirt und flache Sandalen. Osteuropäischer Akzent. Sie grüsst freundlich und führt mich in den ersten Stock in ein Zimmer, vorbei an einer duschenden Frau. Schwere, bodenlange Vorhänge, ein Doppelbett, Bettwäsche in Bordeaux, eine Kleenexbox auf dem Kissen. Im Raum steht ein Whirlpool, an der Duschkabinenwand klebt ein kitschiges Wasserfallfoto.

Was empfinden wohl die jungen Frauen, wenn sie mit ihren Klienten dieses pseudoromantische Zimmer betreten? Wenn sie ihre Dessous abstreifen, mit den fremden Männern in den Whirlpool steigen, die Decke zurückschlagen, die Freier mit der Zunge küssen, sie oral befriedigen und dann Sex mit Gummi mit ihnen haben, so wie es der klassische Service hier vorsieht? Können sie hier tatsächlich Lust empfinden, allenfalls Gleichgültigkeit oder einfach nur Ekel? Ich kann sie nicht fragen. Sie sprechen alle nur Rumänisch.

«Der Gast wählt ein Mädchen aus, dann gehts aufs Zimmer», erklärt Claudia, die mir öfter in den Ausschnitt als in die Augen schaut (und dabei nicht gerade überzeugt wirkt). Einen Kunden abzuweisen sei möglich, aber nicht üblich. Für die Sicherheit der Mädchen könne sie garantieren. Die meisten Männer seien Stammgäste.

Dann sprechen wir über Geld: 60 Prozent des Erlöses gehe an die Frauen, 40 Prozent an den Club. Das heisst konkret: Für eine Stunde Sex gibts 162 Franken in die Tasche. Den Preis für Extraservice wie Analsex würden die Mädchen selber bestimmen, das Geld dürften sie dann behalten. Pro Tag würden je 20 Franken fürs Putzen und die Steuern abgezogen. Wolle ich hier übernachten, koste mich das 30 Franken pro Nacht. Im obersten Stock des Bordells schlafen acht Frauen in einem Zimmer. Alle Betten sind zurzeit besetzt. Null Privatsphäre - nicht einmal nach dem Dienst. «Überleg dir, ob du das machen willst. Du kannst nächste Woche starten», sagt Claudia.

Ich aber will hier nur noch raus hier. Die Sonne blendet, als ich wieder draussen bin. Ich ziehe meinen Ehering über und spaziere erleichtert und etwas beschämt zurück in mein privilegiertes Leben. Ein Leben, in dem ich mir noch nie die Frage stellen musste, ob ich meinen Körper an fremde Männer verkaufen soll, damit ich finanziell über die Runden komme.

Lorena: «Ich funktioniere wie ein Roboter»

Frauen aus aller Welt verkaufen an der Zürcher Langstrasse ihren Körper.

Warum prostituieren sich Frauen in der Schweiz? An einem Donnerstagnachmittag um halb vier spaziere ich die Zürcher Langstrasse entlang, an der Frauen aus aller Welt ihren Körper verkaufen. Einige lehnen sich gegen die Hauswände. Andere sitzen vor den Beizen. Ich frage eine Frau mit riesigen Brüsten, ob ich mich zu ihr an den Tisch sitzen dürfe. Sie mustert mich und nickt. Lorena* hat ihr langes gewelltes schwarzes Haar mit einem grünen Haarband zurückgebunden.

20 Minuten: Hallo, darf ich mich zu dir setzen?

Lorena: (lacht verlegen) Ja klar, nimm Platz. Bist du Polizistin?

20 Min: Nein, warum?

Lorena: Naja, weisse Frauen wie du...

Lorena: Nein, ich bin Journalistin. Ich schreibe einen Artikel über den Wert des Körpers. Darf ich dir ein paar Fragen stellen?

Lorena: Ach, ich weiss nicht ob ich dir helfen kann.

20 Min: Woher kommst du?

Lorena: Aus der Dominikanischen Republik.

20 Min: Warum arbeitest du hier in Zürich an der Langstrasse?

Lorena: Ich mache das aus der finanziellen Not heraus. Für meine Kinder. Sie sind 6 und 10 Jahre alt. Meine Mutter schaut jetzt zu ihnen. Es ist das erste Mal, dass ich weg bin.

20 Min: Weiss deine Mutter, was du hier machst?

Lorena: Gott bewahre! Ich würde Schande über meine Familie bringen. Niemand weiss etwas davon. Niemand.

20 Min: Arbeitest du schon lange in der Schweiz?

Lorena: Nein, erst seit ein paar Wochen. Es ist das erste Mal, dass ich hier bin.

20 Min: Das heisst, du bist mit einem Touristenvisum hier und arbeitest illegal?

Lorena: Ja. Mit dem Touristenvisum kann ich drei Monate hierbleiben, dann gehe ich zurück in meine Heimat.

20 Min: Du sagst das mit einer Wehmut in deiner Stimme…

Lorena: Ich wünschte, ich müsste nicht da sein und diesen Job machen.

20 Min: Wie ist es für dich, deinen Körper für Sex zu verkaufen?

Lorena: (Pause) Es gibt keine Frau, die das gern macht. Sex gegen Geld mit fremden Männern zu haben ist ekelhaft und entwürdigend.

20 Min: Woran denkst du, wenn du dich prostituierst?

Lorena: Ich versuche an gar nichts zu denken. Ich funktioniere dann wie ein Roboter. Ich will die Sache einfach schnell hinter mich bringen.

20 Min: Was für Erfahrungen hast du mit Schweizer Kunden gemacht?

Lorena: Das sind anständige Männer. Keine Machos wie bei uns.

20 Min: Du hast gesagt, deine finanzielle Situation zwingt dich zu diesem Job. Wie viel verdienst du ungefähr?

Lorena: Mal so, mal so.

20 Min: Wie viel Geld kannst du Ende Monat voraussichtlich nach Hause schicken?

Lorena: Wenn es gut kommt, 500 Franken. Das Leben hier ist so teuer. Das habe ich unterschätzt. Ich zahle 100 Franken für das Hotelzimmer pro Nacht, in dem ich auch meine Kunden empfange.

20 Min: Aber lohnt sich das für dich finanziell überhaupt?

Lorena: Zumindest kann ich so die Privatschule meiner Kinder bezahlen.

20 Min: Hast du Freunde hier, mit denen du dich austauschen kannst?

Lorena: Nein. Entschuldige, ich muss los. Ich muss arbeiten.

20 Min: O. k. Danke für deine Zeit. Hier ist meine Nummer, falls du mal Hilfe brauchst.

Lorena: Danke. Es ist schön, für einmal nicht unsichtbar zu sein in dieser Gesellschaft. Einfach wahrgenommen zu werden als Mensch. Machs gut.

Das Recht auf Selbstbestimmung und Gewerbefreiheit

Die Schweiz gehört bei käuflichem Sex zu den liberalsten Ländern: Angebot und Konsum von sexuellen Dienstleistungen sind erlaubt, ebenso Strassenstrich, Sex-Saunas und Bordelle. Prostitution gilt als Beruf, Prostituierte bezahlen Steuern und gelten meist als Selbständigerwerbende.

Der Gedanke dahinter: Auch Sexarbeitende haben das Recht auf Selbstbestimmung und Gewerbefreiheit. In Schweden dagegen ist Prostitution illegal, Freier werden bestraft, Prostituierte dagegen nicht. Mit dem Gesetz will die schwedische Regierung Menschenhandel und Gewalt eindämmen.

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