Einsamkeit«Habe ich ein Problem, ist kaum jemand für mich da»
Trotz Tinder und Social Media: In der Schweiz fühlt sich jeder zweite 15- bis 24-Jährige manchmal oder häufig einsam. Warum?
Obwohl wir ständig über Whatsapp oder Instagram kommunizieren, fühlen sich gerade jüngere Schweizerinnen und Schweizer zunehmend einsam. So haben laut neuen Zahlen aus der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 44 Prozent der 15- bis 24-Jährigen bisweilen mit dem Gefühl der Einsamkeit zu kämpfen. Weitere 4,2 Prozent fühlen sich gar häufig oder sehr häufig einsam. Vor zehn Jahren lagen die Werte noch deutlich tiefer. Junge Frauen leiden häufiger unter Einsamkeit als junge Männer.
Wie belastend dieses Gefühl sein kann, zeigt der Fall von Leserin Maria (22). Nach der Scheidung der Eltern zog die Mutter mit ihr und ihrem Bruder häufig um. Erst ins Nachbardorf, dann ins Ausland. «So wurde es für mich immer schwieriger, Anschluss zu finden. Auch wurde ich mit der Zeit in der Schule gemobbt. Was das Ganze noch schwieriger für mich machte. Als wir dann abermals umzogen, wurde es noch schlimmer. Ich hatte niemanden mehr, mit dem ich reden konnte.» So habe sie sich vermehrt ins Essen geflüchtet und damit angefangen, Leute übers Internet kennenzulernen. Das seien hauptsächlich Männer gewesen.
«Ich wünsche mir nichts mehr als ein paar Freunde»
Die flüchtigen Internetbekanntschaften aber änderten nichts am Gefühl der Einsamkeit: «Ich fühle mich immer noch einsam, da ich kaum soziale Kontakte habe. Zum Beispiel habe ich keine Freunde, mit denen ich am Wochenende feiern könnte.» Sie probiere immer wieder, etwas aufzubauen. Aber: «Sobald sich das Gegenüber nicht mehr meldet, stirbt der Kontakt. Dabei wünsche ich mir echt nichts mehr als ein paar Freunde, die für mich da sind, wenn ich sie brauche.»
Vivien (26) hingegen hat zwar einen grossen Freundes- und Bekanntenkreis. Trotzdem fühlt sie sich manchmal einsam: «Vor allem, wenn ich zu Hause bin und einen gemütlichen Abend vor dem Fernseher machen wollte und dann etwa auf Instagram sehe, wie andere mit Freunden unterwegs sind. Dann denke ich, ich sei die Einzige, die nicht gefragt wurde.» Oder aber sie fühle sich einsam, wenn sie keine Nachrichten auf Whatsapp erhalte.
«Social Media ersetzt keine echten Freundschaften»
Vor Einsamkeit sind selbst Social-Media-Stars nicht gefeit. So sagt TikTok-Star Younes Saggara (18): «Ich habe auch Momente, in denen ich mich allein fühle – obwohl ich so viel Aufmerksamkeit im Internet bekomme. Meine Follower sehen ja nur meine Social-Media-Kanäle und nicht mein wahres Ich oder wie ich im Privaten lebe. Wenn ich ein Problem habe, sind auch nur ein bis zwei Personen wirklich für mich da.»
So gehe es vielen Leuten in seinem Alter, nicht zuletzt wegen Social Media. «Alle sind nur auf ihren Smartphones – Jung und Alt. Social Media ersetzt aber keine realen Freundschaften.» Gleichzeitig spiele wohl auch die Pubertät eine Rolle, meint Saggara.
Das bestätigt eine globale Studie der BBC mit 55'000 Teilnehmern. Demnach fühlen sich die 16- bis 24-Jährigen weltweit am einsamsten. Laut den Forschern ist die Nutzung von Social Media aber nicht der Hauptgrund für das Gefühl der Einsamkeit. Vielmehr löse man sich von zu Hause und habe den Fokus auf dem Einstieg in die Berufswelt statt auf der Pflege des Soziallebens.
Die Studie nannte übrigens auch die populärsten Rezepte gegen die Einsamkeit. Beliebt sind die Tipps, sich in ein Hobby oder die Arbeit zu vertiefen, einem Verein beizutreten oder einfach mit einem wildfremden Menschen zu reden zu beginnen. Ob Sie sich das getrauen?