Flavia Kleiner«SVP darf von mir kein Mitleid erwarten»
Flavia Kleiner ist das Gesicht der SVP-Gegner. Die 25-Jährige über Schadenfreude, Hass-Mails und die «Generation DSI».
Flavia Kleiner, wie viel haben Sie seit Sonntag geschlafen?
Nicht viel (lacht). Ungefähr drei, vier Stunden pro Nacht. Aber das ist es wert.
Und wie viel Champagner haben Sie getrunken?
Champagner gabs keinen, aber Prosecco. Und am Montag nach dem ganzen Rummel ein Feierabendbier. Eigentlich ist unser Operation-Libero-Getränk aber der Gin Tonic. Nur bei der Frage, ob mit oder ohne Gurke, gehen die Meinungen auseinander.
Welches war die schönste Reaktion, die Sie erhalten haben?
Die grüne Nationalrätin Maya Graf ist im Bundeshaus mit ausgebreiteten Armen auf mich zugelaufen und hat gesagt: «Ich gratuliere Ihnen, Frau Kleiner, danke für alles.» Das war schon speziell – ich kannte sie bisher nur aus dem Film «Mais im Bundeshaus». Etwas Besonderes war auch der Empfang von Simonetta Sommaruga. Wir fühlten uns wie Soldaten nach der geschlagenen Schlacht.
Und aus der Bevölkerung? Gabs schon Heiratsanträge?
Ich habe über 2000 Mails erhalten – leider konnte ich noch nicht alle lesen. Einen Heiratsantrag habe ich bislang nicht entdeckt (schmunzelt).
Wer sich so exponiert, muss auch mit negativen Reaktionen rechnen. Haben Sie Hassmails bekommen?
Bis jetzt erst wenige. Manche SVP-Trolle investieren aber richtig viel Energie und richten Mailadressen mit Namen wie «Fickt euch ihr Multikultischweine» ein. Am besten begegnet man dem mit Humor. Es gab aber auch sonst Angriffe unter die Gürtellinie. Bei Standaktionen wurde ich auch schon mal gefragt, ob ich eigentlich gern von Schwarzen vergewaltigt werde.
Das deutsche Magazin Jetzt.de bezeichnet Sie als «Endgegnerin der Schweizer Nationalisten». Viele sehen in Ihnen den neuen Polit-Shootingstar. Wie gehen Sie mit diesen riesigen Erwartungen um?
(Lacht) Ich würde das nicht überbewerten: Es ist reiner Zufall, dass ich das Aushängeschild der Operation Libero wurde, die Bewegung wird von vielen unglaublich engagierten Leuten getragen.
Glauben Sie, dass Ihr Aussehen dabei eine Rolle spielte?
Nein. Ich habe die Kampagnenführung übernommen, hatte Lust zu kämpfen, und plötzlich war ich mittendrin.
Mit Ihrer Gegenkampagne haben Sie einen Nerv getroffen. Wie würden Sie die Generation beschreiben, die Sie damit angesprochen haben?
Das ist schwierig. Ich glaube, sich für Rechtstaatlichkeit einzusetzen, ist keine Frage von Jung und Alt. Wir haben sicher viele angesprochen, die sich vorher vielleicht nicht vertieft mit der Politik befasst haben. Ich glaube, dass die DSI für viele ein politisierender Moment war. Zudem wird die vielzitierte Generation Y unterschätzt: Sie geht optimistisch in die Zukunft und will sich nicht von irgendwem etwas verbauen lassen. Dieser Generation wurde bewusst: Das ist auch unsere Schweiz.
Warum fand dieses Frühlingserwachen genau jetzt statt?
Viele merkten, dass die Politik auch ihren eigenen Alltag betrifft. Dass ihnen persönlich etwas verlustig geht, wenn die Schweiz Mauern baut. Es hat ein Gestaltungswille um sich gegriffen, das hatte etwas Energetisierendes.
Politologe Mark Balsiger warnt davor, die SVP «im Rausch des Erfolgs zu verhöhnen». Echte Sieger müssten Respekt und Demut zeigen. Was meinen Sie?
Ich verhöhne die SVP nicht. Mir ist es wichtig, dass es uns gelungen ist, sie mit sachlichen Argumenten zu besiegen. Darzulegen, dass sie nicht damit durchkommt, wenn sie Unwahrheiten verbreitet. Etwa im Fall von Rechtsprofessor Hansueli Vogt, der einfach behauptete, Secondos seien von der Initiative nicht betroffen. Da muss man vehement widersprechen.
Aber etwas Schadenfreude ist nach dem Sieg schon vorhanden …
Nein, aber Mitleid muss die SVP von mir nicht erwarten. Die Partei war es sich lange nicht gewohnt, dass ihr jemand offensiv die Stirn bietet. Unsere Botschaft ist, dass sie auch in Zukunft mit uns rechnen muss.
Gibt es einen SVPler, mit dem Sie sich so richtig gut verstehen?
Ähm. Das wäre jetzt gelogen.
Sie sagen, die Zivilgesellschaft habe sich gegen die DSI erhoben. Sind denn die Ja-Stimmer aus Ihrer Sicht nicht Teil der Zivilgesellschaft?
Natürlich gehören sie auch zur Gesellschaft. Der Punkt ist, dass die SVP bisher für sich beansprucht hat, «das Volk» zu vertreten. Jetzt sind plötzlich viele Leute aufgestanden, die sagten: Auch wir sind die Bevölkerung. Und wir wollen nicht mehr schweigen.
Was lieben Sie persönlich an der Schweiz?
Dass die Leute ehrlich und aufrichtig sind. Und wenn jemand zu mächtig wird, dann mögen wir das nicht. Darum macht dieses Resultat auch Mut: Die Schweiz ist offener als manche meinen, und offenbar ist es gelungen, viele Menschen aufzurütteln. Menschen, die sich nicht von einer düsteren Angstmacherstimmung dominieren lassen wollen.