Sexuelle Belästigung im Spital«Schlafen Sie doch neben mir im Patientenbett!»
Im Gesundheitsbereich wird laut Studien eine Mehrheit der Mitarbeiterinnen belästigt. Eine Pflegefachfrau erzählt von Sprüchen, Berührungen und Angst.
Im Spital kommen sich Menschen nahe. Pflegekräfte müssen ihre Patienten berühren, waschen und Zeit mit ihnen verbringen. Das wird auch ausgenutzt: Eine Umfrage unter 3000 Pflegekräften aus Deutschland belegt, dass zwei Drittel schon sexuell belästigt wurden, wie «Bento» berichtet.
Das geschieht auch in der Schweiz. Ein Ratgeber des Berufsverband der Pflegefachfrauen- und -männer (SBK) wurde 100'000-mal gedruckt – und fand unter dem Personal so grossen Absatz, dass er mittlerweile vergriffen ist und in einer weiteren Auflage gedruckt wird.
«Es hätte Platz im Bett»
Wie der Alltag in Schweizer Spitälern aussieht, weiss Pflegefachfrau P. T. Sie habe «anzügliche Bemerkungen und Hände an Orten, an die sie nicht gehören» schon mehrfach selbst erlebt. «Im Spital erlebt man einige sexistische Sprüche», sagt sie.
Dazu gehört etwa die Frage eines Patienten, ob sie neben ihm schlafen wolle: «Es hätte ja noch Platz.» «Ich habe ihm gesagt, dass mein Mann wohl etwas dagegen hätte», so T. Erst beim zweiten Mal habe sie deutlicher werden müssen. Ein anderer Patient habe ihr unvermittelt an den Hintern gefasst. «Ich sagte ihm, dass ich das nicht wolle», so T. «Der Mann meinte nur, er habe das doch nicht so gemeint.»
Belästiger wiegeln ab
Probleme kann es auch mit Patienten geben, die eine geistige Behinderung haben. «Ein Mann mit einer Schädigung des Gehirns fragte alle Frauen auf unserer Station, ob sie mit ihm ‹Buebe machen›», sagt T. Wegen seiner kognitiven Einschränkung sei es nicht möglich gewesen, das abzuschalten. «Auch wenn wir das wussten, ging uns das schnell an die Substanz. Wir haben geschaut, dass wir uns in seiner Pflege abwechseln und die Körperpflege nie allein machen.»
Meist wiegelten Belästiger ab, wenn sie zur Rede gestellt würden, sagt T. «Sie sagen dann, das sei doch nicht alles so gemeint gewesen.» Sie selbst erfahre mit zunehmendem Alter weniger Belästigungen. «Ich beobachte aber, wie schwer es vor allem jüngeren Kolleginnen fällt, solche Dinge anzusprechen», so die Pflegefachfrau. «Sie möchten nicht als ‹Mimose› dastehen.»
«Googeln Sie mal ‹Krankenschwester›!»
Eine professionelle Distanz sei wichtig. Darum stelle sie sich immer mit ihrem Nachnamen vor. Übergriffe müssten sofort angesprochen und dem Vorgesetzten gemeldet werden, sagt T. «Wird die Grenze früh gesetzt, wird sie normalerweise auch akzeptiert.» Es gebe Patienten, die dement seien oder eine Psychose hätten und nicht Herr ihrer Sinne seien. Auch bei ihnen müssten aber Grenzen gesetzt werden: «Verwirrtheit heisst nicht, dass ich als Pflegende alles mit mir machen lassen muss.»
Die Übergriffe hätten viel mit dem Bild zu tun, das in der Öffentlichkeit zum Beruf vorherrsche, sagt T. «Googeln Sie mal Bilder zum Begriff ‹Krankenschwester›! Ich bin sicher, Sie verstehen, was ich damit meine.»
Der Pflegeverband hat reagiert – und zusammen mit anderen Organisationen die Stelle Belaestigt.ch geschaffen, an die sich Opfer von sexuellen Belästigungen im Beruf wenden können. Seit dem Start im Juli 2017 sind schon etwa 100 Anfragen an das Beratungsteam gelangt, heisst es auf Anfrage.
«Er zog mich ins Bett»
Im Ratgeber mit dem Titel «Verstehen Sie keinen Spass, Schwester?» erzählen Mitarbeiter von heiklen Situationen. Eine Physiotherapeutin berichtet: «Ich massierte den verspannten Oberschenkel eines Patienten. ‹Sie, da regt sich was, ganz in der Nähe›, sagte der Mann und lächelte mich an.» Eine Pflegefachfrau berichtet, wie sie in der Nachtschicht von einem 50-jährigen Privatpatienten in sein Einzelzimmer gerufen wurde. «Als ich mich zu ihm neigte, packte er mich heftig und zog mich zu sich ins Bett.»
Die Übergriffe hätten oft damit zu tun, dass viele Patienten nichts mehr ohne weibliche Hilfe machen könnten, heisst es in der Broschüre: «Der Schwache rettet sich ins Imponiergehabe und macht sich stark, die als mächtig erlebte Pflegefachfrau soll hilflos und entwertet werden.» Um dem vorzubeugen, empfiehlt der Verband einige Regeln: So soll das Personal gegenüber den Patienten beim «Sie» bleiben und Namensschilder fordern, auf denen kein Vorname steht. Wichtig sei auch, schnell zu reagieren: «Wenn Sie zwei Wochen lang wortlos Sprüche unter der Gürtellinie erdulden, ist es schwierig, sich später noch Respekt zu verschaffen.»