15 Jahre 20 Minuten«Wir blicken zuversichtlich in die Zukunft»
Morgen Samstag vor 15Jahren erschien die erste Ausgabe von 20 Minuten. Geschäftsführer Marcel Kohler und Chefredaktor Marco Boselli schauen zurück – und nach vorn.

20-Minuten-Geschäftsführer Marcel Kohler (links) und -Chefredaktor Marco Boselli.
Herr Boselli, Herr Kohler, wie haben Sie den ersten Tag von 20 Minuten vor 15 Jahren erlebt?
Marco Boselli: Ich habe das sehr nahe miterlebt. Ich war damals bei der Tamedia bei einem Internet-Startup angestellt, in einem Büro in Oerlikon, eine Tür neben der Redaktion von 20 Minuten. Wie viele andere auch war ich nicht sicher, ob es eine gute Idee war, im Jahr 1999 eine neue Zeitung zu gründen – und erst noch eine Gratiszeitung!
Marcel Kohler: Ich war 1999 bei der NZZ, dort hat man 20 Minuten nicht ernst genommen – das galt, ich gebe es zu, auch für mich.
Die ersten Jahre von 20 Minuten waren allerdings eher hart. Was brachte die Zeitung auf die Erfolgsspur?
Boselli: Im Lesermarkt hat die Zeitung schnell funktioniert, das Produkt ist bei der jungen Leserschaft gut angekommen. Das konnte man aber nicht sofort in Umsatz umwandeln. Richtig durchgestartet ist 20 Minuten erst, nachdem der grosse Verlag Tamedia einstieg, der das Potenzial des Titels früh erkannt hatte.
Kohler: Im März 2006 hatten wir zum ersten Mal mehr als eine Million Leser. Damit hatten wir eine magische Grenze übersprungen. Unsere Position als Nummer 1 konnten wir in den letzten Jahren ausbauen – wir haben heute mit 2,2 Millionen dreimal so viel Leser wie die Nummer 2. Die Auftraggeber vertrauen der Marke 20 Minuten. Das ist einer der Gründe, weshalb wir die führende Position auch gut kommerzialisieren können.
Was ist die Philosophie von 20 Minuten? Was machen Sie besser als andere Medien?
Boselli: 20 Minuten begegnet dem Leser auf Augenhöhe. Unser Credo ist, darüber zu schreiben, was interessiert.
Aber der «Blick» macht das doch auch.
Boselli: Aber nicht mehr konsequent. Viele Journalisten glauben einfach zu wissen, was den Leser zu interessieren und wie er zu denken hat. Das gibt dann Zeitungen voller Mahnfinger. Wir informieren, unterhalten und bieten Service – und versuchen dabei noch, dem Leser so wenig Zeit wie möglich zu stehlen. Wir schauen konsequent darauf, was in welcher Form gut ankommt auf unseren Kanälen.
Hat sich die Zeitung – journalistisch gesehen – verändert in den letzten paar Jahren?
Boselli: Nicht stark, und das ist ein Grund für den Erfolg von 20 Minuten: Wir sind sehr konsequent in der Ausrichtung der Zeitung. Wir machen ein junges Blatt mit jungen Themen. Der junge Leser ist bei uns im Fokus – aber selbstverständlich sind wir so gemacht, dass uns jeder lesen kann. Wir sind ein Reichweitenprodukt.
Kohler: Wir sind seit einigen Jahren auch im Ausland tätig: In Luxemburg funktioniert unser Geschäftsmodell sehr gut, in Dänemark sind wir gefordert. Unser ursprünglicher Besitzer Schibsted in Norwegen beobachtet uns mit grossem Respekt, denn es gibt kaum eine Pendlerzeitung, die über Jahre hinweg ein so klares redaktionelles Konzept hat, das insbesondere ein junges Publikum anspricht.
Heisst das denn nicht, dass man die Alten ausgrenzt?
Kohler: 20 Minuten spricht die Jungen an, erreicht aber auch mehr Führungskräfte als jede andere Zeitung in der Schweiz. Der Fokus auf die jungen Zielgruppen macht 20 Minuten auch für ältere Leute interessant, die wissen wollen, was bei den Jungen ein Thema ist. Dass 20 Minuten auch in der Chefetage gelesen wird, hat schon seine Logik.
Bei Ihnen ist eh alles gratis, 20 Minuten muss sich nicht auf dem Kaufmarkt bewähren – das wird Ihnen oft vorgeworfen.
Boselli: Eins ist klar: Gratis allein reicht nicht. Andere haben auch probiert, eine Gratiszeitung zu machen, und sind gescheitert. Man muss ein Konzept haben, man muss gute Journalisten haben, man muss ein Gefühl dafür haben, was die Lesergruppe interessiert, die man erreichen will. Ich weiss nicht, warum man uns mit dem Gratis-Argument schlechtreden will. Am Schluss kommt es auf den Inhalt an, und da können wir seit langem mithalten.
Was ist im Rückblick die wichtigste 20-Minuten-Geschichte?
Boselli: Da gibt es so viele … Wir sind vor allem darin gut, diese Nase im Wind zu haben und Trend-Geschichten vor allen anderen aufzuspüren. Wir setzen wöchentlich mehrere Themen als Erste und werden auch dementsprechend häufig zitiert. Kürzlich hatten wir zum Beispiel ein Interview mit Helen Keller, der Schweizer Richterin am EGMR. Auch den Aufsehen erregenden Ice-Tea-Fall habe wir recherchiert.
Kohler: Neu gewählte Bundesräte kommen bei uns auf die Frontseite. Auch mit unseren Umfragen im Vorfeld von Abstimmungen punkten wir immer mehr, zumal unsere Prognosen nicht nur bei der Masseneinwanderungsinitiative einiges genauer waren als jene von Claude Longchamp. Unser Konzept lässt es aber auch zu, auf dem Cover den schönsten Skilehrer des Landes zu zeigen.
Wie ist heute das Verhältnis von Online und Print bei 20 Minuten?
Boselli: 20 Minuten ist eine Digital-Redaktion, die aus den tagsüber für Online produzierten Inhalten auch noch eine Zeitung für den nächsten Tag macht. Wir präsentieren die riesige Menge an digitalen Inhalten am Folgetag sozusagen einfach in kondensierter Form.
Kohler: Wir arbeiten in Redaktion und Verlag konvergent, das heisst, unsere Mitarbeiter sind sowohl für Print als auch für Online verantwortlich. Das macht die Arbeit interessant und ist wohl mit ein Grund dafür, dass die Stimmung bei 20 Minuten so ist, wie sie bei einem Leader sein sollte.
Boselli: Wir zwei stehen hier auch stellvertretend für zwei tolle Teams, und ich will an dieser Stelle allen danken. Wir sind wirklich sehr stark aufgestellt – auch seit mit Peter Wälty jener Mann in unsere Chefredaktion zurückgekehrt ist, der 20 Minuten zur Nr. 1 der Schweizer Newssites gemacht hatte, bevor er beim Tagi das Newsnet lancierte.
Nun heisst es immer, Print sei tot. Wie lange gibt es 20 Minuten noch gedruckt?
Kohler: Bei 20 Minuten bereiten wir definitiv nicht den Exit aus dem Print vor. Wir haben 2,2 Mio Leser, wir performen im Werbemarkt und sehen auch für die Zeitung eine gute und lange Zukunft.
Boselli: Totgesagte leben länger, nicht wahr? Sollte mein Nachfolger aber die Zeitung irgendwann tatsächlich zu Grabe tragen müssen, wäre das vom journalistischen Arbeitsmodell bereits vorweggenommen – man müsste einfach damit aufhören, am Abend aus unseren Inhalten noch eine Zeitung zu machen.
Gibt es denn die Möglichkeit, dass man ausbauen könnte?
Kohler: Die Auflage von 20 Minuten ist bewusst begrenzt. Damit gelingt es uns, in der Deutschschweiz 3,2 Leser pro Exemplar zu erreichen. Das ist auch international ein hervorragender Wert. Wir könnten unsere Auflage problemlos weitersteigern und damit die Leserzahlen nochmals erhöhen. Wir machen das nicht, weil wir dadurch im Werbemarkt teurer und die Leserschaft in Summe älter würde. Beides wollen wir nicht.
In diesem Jahr entstanden mit Blickamabend.ch und Watson.ch zwei neue Online-Konkurrenten – haben Sie davor keine Angst?
Boselli: Nein. 20 Minuten hat in der nun 15-jährigen Geschichte gelernt, Herausforderungen anzunehmen. Wir sind die Nummer eins geworden und investieren sehr viel darin, die Nummer eins zu bleiben.
Kohler: Schauen Sie sich die Entwicklung der Nutzerzahlen an. Dann wissen Sie, wer Angst haben muss.
Letzte Frage: Wer hat als Erster gratuliert?
Kohler: Noch niemand. Hoffentlich macht das noch jemand! (beide lachen)
Boselli: Aber ein Geburtstagständchen erwarten wir natürlich schon an der heutigen Jam Session.*
*Am Freitagabend feiert 20 Minuten seinen 15. Geburtstag mit Lesern, Kunden und Mitarbeitern an einer exklusiven Jam Session im Zürcher Kaufleuten. Adrian Stern, Bligg, Stress, DJ Antoine, Stefanie Heinzmann, 77 Bombay Street, Nicole Bernegger, Baschi und Dabu Fantastic treten am Event gemeinsam auf.
Das Interview hat Matthias Ackeret geführt, Verleger und Chefredaktor der Kommunikations-Zeitschrift «Persönlich».