«Jetzt ist klar, wir wollen der EU nicht beitreten»

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Nationalrats-Entscheid«Jetzt ist klar, wir wollen der EU nicht beitreten»

Der Nationalrat beschliesst den Rückzug des EU-Beitrittsgesuchs von 1992. Für die SVP schafft dies Klarheit, für die SP ist es «innenpolitisches Geplänkel».

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Der Nationalrat hat am Dienstagmorgen einem Rückzug des EU-Beitrittsgesuchs zugestimmt, welches der Bundesrat 1992 per Brief an Brüssel stellte. Eine entsprechende Motion von Lukas Reimann wurde mit 126 zu 46 Stimmen bei 18 Enthaltungen angenommen.

In der Parlamentsdebatte äusserte sich auch Aussenminister Didier Burkhalter. Er betonte, dass das Gesuch seit dem EWR-Nein gegenstandslos sei. Die Beamten in Brüssel würden den Brief von damals wahrscheinlich gar nicht mehr finden. Zwar sei der Bundesrat gegen einen Rückzug, aber wenn man die «Nicht-Debatte» nun beenden wolle, könne der Rat jetzt auch Ja stimmen.

SVP-Nationalrat Luzi Stamm freut sich über das klare Ja zum Rückzug des Gesuchs. «Heute hat das Parlament endlich klargemacht: Wir wollen nicht beitreten.» Viele Verhandlungen, beispielsweise über die Bilateralen I, hätten unter dem Vorzeichen eines späteren Beitritts stattgefunden, dieses sei nun korrigiert. Die Verhandlungsposition gegenüber der EU würde so gestärkt. Selbst wenn ein Rückzug nur Symbolpolitik sei, wäre es immerhin ein wichtiges Symbol. «Es ist verrückt, dass dieser Schritt 24 Jahre gedauert hat.»

Für SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel kommt das klare Ja des Nationalrats überraschend. «Ich habe nicht damit gerechnet, dass auch FDP und CVP der Rückzugs-Motion von Lukas Reimann zustimmen.» Er glaube nicht daran, dass die EU in der jetzigen Form überleben könne. Einen künftigen Beitritt will Büchel gerade deshalb nicht ausschliessen: «Sollte die EU wieder zur ursprünglichen Wirtschaftsgemeinschaft werden, so kann es sein, dass wir in ferner Zukunft einmal beitreten.»

«Innenpolitisches Geplänkel»

Martin Naef, Beitritts-Befürworter und SP-Nationalrat, findet die Debatte um das Beitrittsgesuch müssig. «Da hat man ein totes Ross erschossen.» Die Motion von Reimann sei nicht mehr als innenpolitisches Geplänkel, dass er zur grossen Nummer aufbauschen wolle. «Es ist im Grunde wie Aussenminister Burkhalter sagt: Das Beitrittsgesuch ist seit 24 Jahren gegenstandslos, wahrscheinlich findet die EU den Brief nicht einmal mehr.» Negative Konsequenzen fürchtet auch Naef nicht. «Die EU hat momentan grössere Probleme als uns, dieser Entscheid hätte keine Folgen.» Die Hoffnung auf einen Beitritt gibt der EU-Beitritts-Befürworter trotz des Entscheides nicht auf. «Wenn die EU ihre momentanen Krisen bewältigen kann und demokratischer wird, könnte auch das Schweizer Volk Ja zur EU sagen.»

Europa-Experte Dieter Freiburghaus präzisiert:« Die Schweiz hat der EU nur einen Brief geschrieben, dass wir daran interessiert seien, Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, und nicht etwa ein formelles Gesuch eingereicht.» Wie man nun einen Brief zurückziehen wolle, wisse er auch nicht. «Konsequenzen hätte der Entscheid nicht. Brüssel nimmt davon wahrscheinlich keine Notiz, vielleicht muss ein Schweizer Diplomat erklären, wieso jetzt ein mehr als 20 Jahre alter Brief widerrufen wird.»

Beitrittswahrscheinlichkeit 10 Prozent

Die hohe Zustimmung sieht Freiburghaus auch als Versuch, der SVP den Wind aus den Segeln zu nehmen. «Mit dem angeblich immer noch deponierten Beitrittsgesuch macht die SVP in Europafragen immer noch Politik, vielleicht wollte man hier einen Schlussstrich ziehen.» Dass er den EU-Beitritt der Schweiz noch erleben werde, glaubt Freiburghaus nicht. «Dafür bin ich wahrscheinlich zu alt», sagt der 74-Jährige. «Das einzige Szenario, bei dem ein Beitritt in Frage kommt, ist, dass sich die Schweiz wirtschaftlich dermassen ins Abseits manövriert, dass wir keinen anderen Ausweg haben. Das tritt aber nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 10 Prozent ein.» Wahrscheinlicher sei eine Einigung mittels neuer bilateraler Verträge.

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