Passagierrückgang«Die SBB nehmen die Kunden zu wenig ernst»
Nun ist es offiziell: Die SBB verlieren erstmals Passagiere. Dass der Rückgang mit der Unzufriedenheit vieler Kunden zusammenhängt, schliessen die SBB aus – zum Ärger von Bahnexperten.

Überfüllte Züge sind für Pro-Bahn-Präsidenten Kurt Schreiber nur ein Ärgernis, das zum Rückgang von Zugpassagieren führt.
Wer die jüngste, dreiseitige Medienmitteilung der SBB zur Bilanz des letzten Jahres liest, dem fällt auf: Kein Wort zum Thema Kundenzufriedenheit. Und dies, obwohl die Passagierzahlen erstmals seit langem rückläufig sind - rund 10'000 Passagiere haben den SBB im Vergleich zum Vorjahr den Rücken gekehrt. Die SBB führen eine Vielzahl Gründe ins Feld für diesen Rückgang - praktisch alle sind wirtschaftlicher Natur: die schwächere Konjunktur, der hohe Franken oder die rückläufige Nachfrage im Tourismussektor.
Für Kurt Schreiber von Pro Bahn, der Interessenvertretung der Schweizer ÖV-Kunden, sind diese Erklärungen eine Enttäuschung. «Klar sind das auch Gründe, die beim Passagierrückgang mitspielen, doch die Unzufriedenheit der Kunden mit dem Preis-Leistungs-Verhältnis und dem Service darf man nicht einfach ausblenden», sagt Schreiber. Dass der Frust vieler Bahnkunden riesig ist, zeigten auch die rund 500 Kommentare, die 20 Minuten vor rund zwei Wochen erhielt, als die sinkenden Passagierzahlen das erste Mal durch die Medien geisterten.
«Gefahr, dass auch Pendler umsteigen»
«Zu teuer für eine Familie», «unfreundliches Personal», «ungepflegte Züge», «komplizierte Billetautomaten» waren nur einige der mehrheitlich negativen Kommentare. Für Schreiber ist klar: «Die SBB nehmen die Kunden zu wenig ernst.» Kritik kommt auch von Gerhard Tubandt, Sprecher des Verkehrsclubs der Schweiz (VCS): «Die Kombination von Preiserhöhungen und überfüllten Zügen, siffigen Toiletten oder Vandalismus machen das Zugfahren weniger attraktiv.» Obwohl momentan noch vor allem Freizeitkunden das Auto dem Zug vorziehen, zeigt laut Tubandt der weniger starke Anstieg der Passagierzahlen im Regionalverkehr auch eine gewisse Unzufriedenheit bei den Pendlern. «Wenn die SBB nicht reagieren, besteht die Gefahr, dass die Pendler ebenfalls umsteigen.»
Bei der SBB betont man auf Anfrage, dass das Unternehmen die Kundenzufriedenheit durchaus ernst nehme. «Sie ist das erste von neun Konzernzielen der SBB und die Rückmeldungen der Kunden messen wir regelmässig», sagt Sprecher Christian Ginsig. Dazu gebe es unter anderem eine repräsentative Telefonumfrage mit 18'000 Personen, zum anderen würden auch schriftliche Reaktionen laufend ausgewertet und wo immer möglich Verbesserungen eingeleitet.
Nächster Aufschlag im Dezember?
Die Kundenzufriedenheit sei 2012 gesamthaft auf einem hohen Niveau stabil geblieben, so Ginsig. Die Reisenden würden die Pünktlichkeit positiver wahrnehmen als im Vorjahr, die Information bei Störungen hätten sie ebenfalls positiver bewertet. «Kritik gab es beim Preis-Leistungs-Verhältnis und beim Sitzplatzangebot.» Darum investiere man auch jährlich rund 1 Milliarde in neues Rollmaterial. Kundenbewertungen zum Service insgesamt findet man aber auch im rund 400-seitigen Geschäftsbericht der SBB keine einzige. Und bereits im Dezember 2013 könnte es zum nächsten Preisaufschlag kommen.