Zürcher Neonazi Sebastien N.Er gilt als Drahtzieher des Neonazi-Netzwerks
In der Schweiz, den Niederlanden und in Deutschland haben Ermittler Razzien gegen ein neues Terrornetzwerk durchgeführt. Als Drahtzieher der Organisation gilt ein alter Bekannter.
Mit einer internationalen Aktion gehen Ermittler aus der Schweiz, den Niederlanden und Deutschland gegen eine vermutlich international agierende Neonazi-Gruppierung vor. Seit dem frühen Mittwochmorgen durchsuchten die Beamten Wohnungen und Geschäftsräume von vier Beschuldigten.
Zudem gebe es Razzien in Gefängniszellen von zwei Beschuldigten in der Schweiz, teilte die deutsche Bundesanwaltschaft in Karlsruhe (Baden-Württemberg) mit. Den Durchsuchungen waren offenbar längere - auch verdeckte - Ermittlungen im Vorfeld vorausgegangen
Festgenommen wurde nach Angaben der obersten deutschen Anklagebehörde niemand. Hingegen berichtete die niederländische Polizei von einer Festnahme im Zuge der Razzia in der Nähe von Den Haag.
Beschuldigter soll auf Mann geschossen haben
Laut «Spiegel Online» soll es sich bei einem der Beschuldigten um jenen Mann handeln, der im Mai 2012 im Zürcher Niederdorf auf einen 26-jährigen Mann geschossen hat. Nach der Tat war der 25-Jährige nach Hamburg geflüchtet, wo er verhaftet und dann an die Schweiz ausgeliefert wurde.
Davor befand sich der Mann auf freiem Fuss, obwohl er im Januar 2012 vom Solothurner Obergericht wegen über vierzig früheren Delikten, darunter auch schwere Gewalttaten, zu 39 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden war.
Nun enthüllt der «Spiegel», dass die Behörden davon ausgingen, dass es sich bei Sebastien N. und einem zweiten, ebenfalls inhaftierten, Schweizer um die Führungsfiguren handelt. Sie sollen die Initiative zum Aufbau des Netzwerkes ergriffen haben.
Die Hauptbeschuldigten werden demnach vor allem durch Zeugenaussagen belastet. Die deutsche Bundesanwaltschaft wollte den Bericht nicht bestätigen oder kommentieren.
Politisches System beseitigen
Ziel der rechtsextremistischen Vereinigung soll es gewesen sein, das «politische System der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen», so die Bundesanwaltschaft. Es bestehe der Verdacht, dass die Beschuldigten zu diesem Zweck terroristische Gewalttaten verüben wollten.
Als Vorbild soll ihnen die sogenannte «Werwolf»-Taktik der Nationalsozialisten zum Ende des Zweiten Weltkrieg gedient haben, die kurz vor dem Zusammenbruch des NS-Regimes Guerilla-Einheiten in den Kampf schicken wollten.
Konkrete Anschlagspläne gab es nach Wissen der Behörde aber nicht. Bei den Razzien wurden schriftliche Unterlagen und Computer sichergestellt, die jetzt ausgewertet werden sollen.
In Deutschland sind unter der Leitung der Bundesanwaltschaft an dem Einsatz rund 50 Polizeibeamte des Bundeskriminalamts und der Landeskriminalämter Hamburg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern beteiligt.
Zürcher Staatsanwaltschaft ist involviert
Die Durchsuchungen in den Niederlanden und der Schweiz werden im Wege der Rechtshilfe von den dortigen Behörden vorgenommen. Ziel ist es, Beweise für mögliche Anschlagspläne und Vorbereitungen zu bekommen.
Ingrid Ryser, Sprecherin des Bundesamts für Justiz (BJ), sagt dazu gegenüber 20 Minuten: «Das BJ kann bestätigen, dass in dieser Sache ein Rechtshilfeersuchen aus Deutschland eingegangen ist.» Gestützt darauf habe die Staatsanwaltschaft Zürich Hausdurchsuchungen und Einvernahmen angeordnet und durchführen lassen.
In welchen Kantonen die Razzien durchgeführt wurden, wollte die Staatsanwaltschaft Zürich auf Anfrage nicht sagen. Klar ist, dass sie in der Deutschschweiz stattgefunden haben.
Die «Werwolf«-Organisation der Nationalsozialisten
Die historische Organisation «Werwolf» war im Herbst 1944 von SS-Führer Heinrich Himmler ins Leben gerufen worden. «Entschlossene Männer und Frauen» sollten hinter den Linien des Feindes einen Guerillakrieg führen. Als die alliierten Truppen 1944 unaufhaltsam auf die Grenzen des Deutschen Reichs vorrückten, rief das NS-Regime eine «Widerstandsbewegung in den deutschen Grenzgebieten» ins Leben.
Mit Untergrundkampf auf eigenem Boden und Sabotageakten hinter den gegnerischen Linien sollten die eigenen Kampfverbände entlastet werden. Heinrich Himmler, Oberbefehlshaber des Ersatzheeres, gab ihr den Namen «Werwolf». Den Aufbau der Organisation leitete Hans-Adolf Prützmann, General der Waffen-SS und SS-Obergruppenführer. Die von Himmler befohlene Ermordung des Aachener Bürgermeisters Franz Oppenhoff im März 1945 gilt als die propagandistisch wirksamste Aktion der «Werwölfe».
In dem seit Ende 1944 amerikanisch besetzten Aachen im äussersten Westen Deutschlands war Oppenhoff als erster «Nachkriegsbürgermeister» eingesetzt worden. Für die Nazis war er ein Verräter. Die Wirkung der Organisation blieb insgesamt jedoch eher unbedeutend. Dennoch war unter den Alliierten die Furcht weit verbreitet, sie könnten in den von ihnen eroberten Gebieten aus dem Hinterhalt von «Werwölfen» angegriffen werden.
Zahlreiche Morde an «Volksverrätern» gingen auf das Konto der «Werwölfe» und ähnlicher Organisationen. Auch eine unbekannte Zahl alliierter Soldaten starb durch ihre Hand. Wie viele Aktionen es insgesamt waren, liegt allerdings ebenso im Dunkeln wie die Zahl der damaligen «Werwolf«-Mitglieder.
Der Begriff «Werwolf» ist vermutlich Hermann Löns' Roman «Der Wehrwolf» von 1910 entlehnt, in dem er den Partisanenkampf niedersächsischer Bauern im Dreissigjährigen Krieg schildert. Im Volksglauben ist der Werwolf ein Mensch, der vor allem nachts die Gestalt eines Wolfes annimmt und Untaten verübt. (sda)