Carlos in Gefängnis«Todesdrohungen, üble Beschimpfung, Spucken»
Die Haftbedingungen von Carlos waren erniedrigend. Laut Untersuchungsbericht war dies aber keine böse Absicht – sondern Folge der Überforderung mit dem Häftling.
Die Zürcher Justizdirektorin Jacqueline Fehr spricht über die Untersuchung zu den Haftbedingungen von Carlos, den sie nach den Initialen seines bürgerlichen Namens B. K. nennt. (Video: lüs)
Der Kanton Zürich hat am Montag die Ergebnisse der Adminisrativuntersuchung präsentiert, die die Haftbedingungen von Carlos (21) unter die Lupe genommen hatte. Im März dieses Jahres, als Carlos wegen schwerer Körperverletzung vor Gericht stand, hatte sein Anwalt Marcel Bosonnet schwere Vorwürfe erhoben: Carlos sei in Einzelhaft gewesen und habe ohne Matratze auf dem kalten Boden schlafen müssen.
Zu essen habe er nur Brot bekommen, weder habe er duschen noch Hofgänge unternehmen können. Ununterbrochen habe er Fussfesseln tragen müssen, weder hätten ihn seine Eltern besuchen dürfen, noch habe er Zugang zu Büchern, Radio, TV und Schreibmaterial gehabt. Bosonnet sprach von «entwürdigenden Zuständen», die er noch nie in einem Schweizer Gefängnis gesehen habe.
Haftbedingungen waren «erniedrigend»
Im Auftrag der Zürcher Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) ist der pensionierte Staatsanwalt Ulrich Weder diesen Vorwürfen nachgegangen; er hat dafür Carlos sowie zahlreiche Funktionäre des Zürcher Justizvollzugs befragt.
Weders Fazit: Die Haftbedingungen von Carlos waren tatsächlich «objektiv diskriminierend und erniedrigend»: Dies gilt im Speziellen für die Verweigerung des Hofgangs, das Schlafen auf dem Boden, die Tatsache, dass Carlos eine Zeit lang nur mit einem Poncho bekleidet war, ohne Unterwäsche, dass er permanent Fussfesseln tragen musste und keine Dusche bekam.
Carlos erhielt nicht nur Brot
Einen Teil der Vorwürfe bezeichnet Weder jedoch als unbegründet: So gebe es weder Einzelhaft, Einschränkungen des Besuchsrechts noch die Verweigerung von Lesematerial zu beanstanden. Dass Carlos nur Brot zu essen bekam, treffe zudem nicht zu: Er habe grundsätzlich dasselbe Essen erhalten wie die Mitinsassen, jedoch habe man es ihm nicht in Geschirr, sondern in Brote eingelegt gebracht. Selbst Styropor-Geschirr hätte Carlos verwenden können, um sein WC zu verstopfen.
Und auch in Bezug auf die Vorwürfe, die er für berechtigt hält, gibt es für Weder ein grosses Aber: Die Angestellten im Justizvollzug hätten nicht die Absicht gehabt, Carlos zu diskriminieren oder zu erniedrigen.
«Menschenrechtskonvention nicht verletzt»
Vielmehr seien Aspekte der Sicherheit ausschlaggebend gewesen. Deshalb sei weder die Menschenrechtskonvention noch die Schweizer Verfassung verletzt worden. Das Gefängnispersonal sei sie «im Umgang mit dem queruliernden, beschimpfenden, drohenden, renitenten und aggressiven Häftling» überfordert gewesen.
Weder: «Das Verhalten wies eine derartige Intensität und Hartnäckigkeit auf, wie es selbst jahrzehntelang im Haftvollzug tätige Mitarbeitende noch nie erlebt hatten.»
«Den Oberkörper durch die Essklappe gezwängt»
Laut Weder gab es von Carlos Drohungen mit Gewalt, auch mehrfache Todesdrohungen, üble Beschimpfungen, Spucken und Sachbeschädigungen. Er verstopfte das WC und Lüftungsgitter. Und: «Zweimal zwängte er sich mit dem Oberkörper durch die Essklappe.»
Justizdirektorin Fehr sagt zu Weders Bericht: «Es wurden Fehler gemacht, und zwar auf allen Stufen.» Die Durchführung einer rechtsstaatlich korrekten Untersuchungshaft sei nicht vollständig gegeben gewesen. Auch für Fehr liegt der Hauptgrund für die Geschehnisse im Verhalten des Gefangenen, mit dem die Zuständigen phasenweise massiv überfordert gewesen seien. Vieles sei durch das Ziel motiviert gewesen, «die Angestellten nicht in Gefahr zu bringen».
Gefängnisleiter von Pfäffikon musste gehen
Der Fall hat laut Fehr auch personelle Konsequenzen: Der Leiter des Gefängnisses Pfäffikon hat seinen Job aufgegeben. Laut Fehr lag dies nicht nur, aber auch an seinem Umgang mit Carlos.
Fehr will nun dafür sorgen, dass man auch baulich für Extremfälle wie jenen von Carlos gerüstet ist: Es brauche Sicherheitszellen, die nicht verwüstet werden können. Dafür müsse man über Kleider, Matratzen und Decken aus Materialien verfügen, mit denen die Toiletten nicht verstopft und die Zellen nicht überflutet werden können. Zudem sollen Betriebskonzepte überprüft werden für Fälle wie jenen von Carlos, bei dem für jede Öffnung der Tür die Polizei herbeigezogen werden musste.
Sieben Aufseher attackiert
Ärger machte Carlos erst letzte Woche wieder: Wie Jacqueline Fehr sagte, griff er in der Strafanstalt Pöschwies sieben Aufseher an. Einer musste danach ins Universitätsspital Zürich gebracht werden. Carlos wurde nach dem Vorfall von Pöschwies in eine psychiatrische Klinik verlegt.