ExodusKosovaren versuchen ihr Glück in der Schweiz
Tausende Menschen fliehen aus dem Kosovo – auch in die Schweiz. Doch hier haben sie keine Chance, weshalb viele untertauchen.
«Wir haben die Unabhängigkeit, aber nichts zu essen», sagt der 27-jährige Hasan Fazliu. Seinem Heimatland hat der Kosovare den Rücken gekehrt. Fazliu ist kein Einzelfall. Tausende Menschen versuchen aus dem Kosovo in ein EU-Land zu flüchten. Meist illegal und ohne gültige Papiere. Schätzungen zufolge sollen alleine in den letzten zwei Monaten über 30'000 Kosovaren das Land verlassen haben. Regierungsnahe Kreise halten gar eine Zahl um 50'000 für realistischer. Wie viele Menschen bereits aus dem armen Balkanland geflüchtet sind, kann niemand genau sagen.
Wer nicht legal ausreist, versucht über Serbien ins 334 Km entfernte Ungarn zu kommen. Von dort zieht es die Flüchtlinge weiter nach Österreich und Deutschland. «Asylanträge von kosovarischen Staatsbürgern haben in den letzten Monaten stark zugenommen», bestätigt Christoph Sander, Pressesprecher beim deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Demnach haben im Januar 3630 Personen in Deutschland um Asyl gebeten. Im Monat zuvor waren es noch 1956.
Illegal in die Schweiz eingereist
Der Exodus beschränkt sich jedoch nicht nur auf EU-Länder. Auch in der Schweiz versuchen die Menschen ihr Glück. Allein im letzten Monat griff die Schweizer Grenzwache 1061 illegale eingereiste Personen ohne gültiges Visum auf. Über hundert stammten aus dem Kosovo. «Wir haben im Bereich der Bahnkontrollen und Strassenverkehr vermehrt Einreisen von kosovarischen Staatsangehörigen festgestellt», sagte Markus Kobler, Kommandant des Grenzwachtkorps zur «Tagesschau». Diese hätten sich im Dezember und zu Beginn dieses Jahres verstärkt akzentuiert. Doch nur die wenigsten der illegal Einreisenden stellen einen Asylantrag, stellt Andreas Brunner von der St. Galler Kantonspolizei fest: «Wir müssen davon ausgehen, dass sie in der Schweiz untertauchen, bei Verwandten, dass sie in der Schwarzarbeit landen, dass sie straffällig werden oder allenfalls weiterreisen.»
Das kaum jemand einen Asylantrag stellt verwundert nicht. Denn wer in die Schweiz reist hat im Gegensatz zu Anträgen in Deutschland praktisch keine Chance auf Asyl. Das Bundesamt für Migration hat im Januar von 112 Asylgesuchen keinen einzigen Antrag gutgeheissen. Grund: «Der Kosovo ist für die Schweiz ein sicherer Staat. Das bedeutet, dass die Chance auf eine Asylaufnahme relativ gering sind. Meist wird in einem 48h-Verfahren über eine Aufnahme entschieden», sagt Mediensprecherin Léa Wertheimer. Eine wirtschaftliche Begründung würde für ein Asyl nicht ausreichen. Es gibt jedoch auch Ausnahmen: «Wenn jemand an Leib und Leben bedroht wird, gewährt ihm die Schweiz Asyl. Das muss aber in jedem Fall glaubhaft dargelegt werden können.»
«Das Gesetz will es so»
Die geringe Chance aufgenommen zu werden schreckt die Kosovaren nicht davor ab Asyl zu beantragen. 45 Menschen stellten im November einen Asylantrag, im Dezember 64. Im Januar waren es schliesslich 112 Gesuche.
Für SP-Nationalrätin Yvonne Feri ein Zeichen für die «grosse Verzweiflung» die in dem Land herrschen muss. Die Haltung des Bundesamts für Migration sei dennoch richtig. «Wer aus wirtschaftlichen Gründen flieht, bekommt in der Schweiz leider kein Asyl. So will es das Gesetz», meint Feri. Zuerst müssten Leute aufgenommen werden, die aus Ländern stammen, in denen es kriegerischere Auseinandersetzungen gibt. «Kriegsflüchtlinge haben erste Priorität», so Feri.
SVP-Migrationsexperte Heinz Brand sieht das ebenso. Er will durch hartes Durchgreifen die Flüchtlinge davon abhalten einen Asylantrag zu stellen, der ohnehin abgelehnt werden würde. Der Bündner Nationalrat will illegale Einwanderer deshalb an der Grenze konsequent abweisen. «Den Leuten falsche Hoffnungen über Arbeits- und Verbleibemöglichkeiten zu machen, wäre das falsche Signal».
Auch der in der Schweiz lebende Kosovo-Albaner Bedri Krasniqi rät seinen Landsleuten dringend ab in die Schweiz zu reisen, auch wenn die Leute im Kosovo keine beruflichen Perspektiven hätten: «Die Gefahr durch Schlepper ist gross. Wer sein Glück von Kriminellen abhängig macht, bringt sich und seine Familie möglicherweise sogar in Lebensgefahr.» Dass sich Flüchtlinge bei ihren Verwandten in der Schweiz verstecken würden, sei möglich. «Von einem konkreten Fall habe ich bisher aber noch nie gehört», so Krasniqi.
Dass das Thema von den hier lebenden Kosovaren breit diskutiert wird, bestätigt auch Bashkim Iseni. Der aus dem Kosovo stammende Politwissenschaftler und Betreiber der Informationsplattform «albinfo.ch» ist überzeugt, dass der 2008 gegründete Staat von den europäischen Nachbarn nun in die Pflicht genommen werden muss. «Die Schweiz und die EU müssen nun Druck auf den Kosovo ausüben, ansonsten verschlimmert sich die bereits prekäre Situation noch weiter».

Über den Kosovo
Der Kosovo hat sich 1999 im Zuge eines blutigen Konflikts unter Beteiligung der NATO von Serbien abgespalten. Seitdem sind NATO-Truppen im Land stationiert. Darunter auch die Swisscoy-Einheiten der Schweizer Armee. Im Jahr 2008 erklärte Pristina schliesslich seine Unabhängigkeit, die jedoch bis heute von Belgrad nicht anerkannt wird. Der Balkanstaat mit 1,8 Mio. Einwohnern zählt aktuell zu den ärmsten Ländern Europas. Die Arbeitslosenquote liegt bei mehr als 45 Prozent. Etwa 40 Prozent der Kosovaren leben in Armut, mit einem Einkommen von weniger als 1,50 Franken pro Tag. (tbi)