Der Branchen-CheckWo Sie Teilzeit arbeiten können – und wo nicht
Kürzere Arbeitswochen, mehr Zeit für die Familie: Viele Schweizer wünschen sich einen Teilzeitjob. In manchen Berufen bleibt das 80-Prozent-Pensum aber ein frommer Wunsch.
«Viele Männer haben Angst vor Teilzeitarbeit», klagte Markus Theunert, Präsident von Männer.ch, kürzlich gegenüber 20 Minuten. Tatsächlich würden gemäss einer Studie von Pro Familia zwar 9 von 10 Männern gerne Teilzeit arbeiten – schweizweit erfüllen sich diesen Wunsch derzeit aber nur gerade 14,7 Prozent. Tatsächlich variieren die Möglichkeiten, überhaupt in reduziertem Pensen arbeiten zu können, von Branche zu Branche stark – und zwar für Angestellte beider Geschlechter.
Jürg Wiler, Leiter des Projekts «Der Teilzeitmann Schweiz», hat für 20 Minuten basierend auf seiner Erfahrung eine Rangliste der teilzeitfreundlichsten und -feindlichsten Berufe erstellt (siehe Tabellen). Klar die Nase vorn hat das Bildungswesen – dort arbeiten rund 6 von 10 Angestellten Teilzeit.
Laut Beat Zemp, Präsident des Schweizer Lehrerverbands, liegt dies einerseits daran, dass sich die Schulstruktur mit den verschiedenen Fächern gut dafür eignet, Pensen aufzuteilen. «Dazu werden im Bildungsbereich auch bewusst Team-Teaching-Modelle angeboten, damit die Lehrpersonen Beruf und Familie unter einen Hut bringen können.» Teilweise müssten die Schule heute bereits darum besorgt sein, dass eine kritische Untergrenze von Teilzeitpensen nicht unterschritten wird: «Eine gewisse Anzahl an Klassenlehrern, die Vollzeit arbeiten, braucht ein Schulhaus – quasi als tragende Säulen.»
Bäuerinnen beim Ehemann angestellt
Erstaunen mag die Nummer zwei in der Rangliste der Top-Teilzeit-Berufe: Ausgerechnet im harten Bauernberuf arbeitet demzufolge mehr als jeder zweite in einem reduzierten Pensum. Beim Bauernverband heisst es auf Anfrage, gerade Bäuerinnen würden heute nach der Heirat zunehmend noch ihrem erlernten Beruf nachgehen – «daneben sind sie ganz offiziell in einem Teilzeitpensum bei ihrem Mann auf dem Hof angestellt», so Sprecher Hans Rüssli. Auch der umgekehrte Fall sei anzutreffen.
Dazu kämen viele Arbeitskräfte, die während der Obsternte oder beim Gemüsebau stundenweise auf dem Hof mitarbeiteten. Ebenfalls teilzeitfreundlich präsentieren sich ausserdem der Detailhandel, die soziale Arbeit oder das Gastgewerbe. «Auch in den Medien oder in Gesundheitsberufen arbeiten meiner Erfahrung nach überdurchschnittlich viele Leute in einem Anstellungsverhältnis von unter hundert Prozent», so Wiler.
Nur Vollzeit auf dem Bau – Wende bei Banken
Fast eine Teilzeitwüste sind hingegen das Baugewerbe und die Industrie. «Das ist leider so», bestätigt Martin A. Senn, Vizedirektor des Schweizerischen Baumeisterverbandes. Der tiefe Anteil Teilzeitarbeitender im Baugewerbe sei tatsächlich auffällig – er könne aber nur teilweise erklären, woran das liege: «Aufgrund der komplexen Vorgänge auf den Baustellen ist es für die Arbeitgeber wohl meistens einfacher, wenn ihre Leute von Montag bis Freitag verfügbar sind», vermutet er. Jürg Wiler ergänzt, in Berufen mit tiefen Lohnniveaus könnten es sich grundsätzlich weniger Leute leisten, nicht Vollzeit zu arbeiten. «Das dürfte auf dem Bau und in der Industrie sicherlich eine Rolle spielen.»
Auch Berufe im Finanz- oder Versicherungswesen präsentierten sich bis anhin als eher teilzeitfeindlich. «In den letzten Jahren haben diese Branchen aber kräftig aufgeholt», so Wiler. Dies bestätigt Balz Stückelberger, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes der Banken. «Die Nachfrage ist ganz klar da: Wen wir hochqualifizierte junge Leute anwerben wollen, müssen wir Teilzeitmodelle anbieten – sonst verzichten diese gleich ganz auf den Job.»
Es sei jedoch korrekt, dass im Bankenwesen Vollzeitbeschäftigungen traditionell stark verankert seien: «Vermutlich, weil ein vergleichsweise hoher Performance-Druck herrscht und man für die Kunden möglichst jeden Tag erreichbar sein will», so Stückelberger. Auf Führungsebene sei es zudem einfacher, ein Team aus Vollzeitangestellten zu führen. «Dann muss man nicht jedes Mal abklären, ob für die Sitzung am Montagnachmittag alle im Haus sind.» So weit dies machbar sei, sollen diese Strukturen nun aber aufgeweicht werden. «Aus meiner Sicht muss dies nicht zwingend mit Teilzeitstellen geschehen – auch flexible Arbeitszeiten und Home-Office-Tage können Möglichkeiten sein, um Privatleben und Beruf miteinander zu vereinbaren.»
Teilzeitfreundlichste Berufe
1. Bildung
2. Landwirtschaft
3. Detailhandel
4. Soziale Arbeit
5. Gastgewerbe
Teilzeitfeindlichste Berufe
1. Baugewerbe
2. Industrie
3. Banken
4. Versicherungen
5. Kaufmännische Stellen/ Verwaltung