Körperverletzung?Kinderrechtler wollen Beschneidungs-Verbot
Die Organisation Pro Kinderrechte fordert das Verbot der Beschneidung von Knaben. Muslime und Juden wehren sich.
In der jüdischen und islamischen Religion ist die Beschneidung Tradition und eine weit verbreitete religiöse Praxis – auch in der Schweiz. Das bedeutet, dass die Vorhaut des Penis bei Knaben entfernt wird. Nun aber fordert die Organisation Pro Kinderrechte das Verbot der Beschneidung. «Die Beschneidung des Genitals ist nicht, wie manchmal behauptet, eine Bagatelle», schreibt die Organisation in ihrer Broschüre. «Eine Beschneidung ist ein irreversibler Eingriff mit langfristigen Nachteilen, besonders im urologischen, psychologischen und sexuellen Bereich.» Sie schätzt, dass in der Schweiz knapp 6000 Knaben im Jahr beschnitten werden, meist aus religiösen Gründen.
Beschneidung als «häufigste Menschenrechtsverletzung»
Pro Kinderrechte geht so weit, die Beschneidung als die «häufigste systematische Menschenrechtsverletzung» weltweit zu nennen. Ein gesundes Körperteil abzuschneiden, sei absurd. Ganz abgesehen davon könnten Kinder nicht mitreden, da sie zu jung seien.
Die Beschneidung ist eine sehr häufige Operation bei Kinderärzten, nur ein Bruchteil davon geschieht aus medizinischen Gründen. Der Kinderchirurg Andreas Dietl vom Spital in Baden erklärt gegenüber SRF, dass er stets versuche, den Eltern die Operation auszureden: «Die Natur erfindet nichts, was nicht sinnvoll ist.» Bestünden die Eltern auf der Operation, komme er dem Wunsch nach, damit die Eltern nicht zu illegalen Beschneidern gehen.
«Eine Beschneidung ist eine Körperverletzung»
In einer Stellungnahme schreibt der Verband der Kinderärzte Schweiz, dass die Frage eher eine politische und juristische als eine medizinische sei. Der Anspruch von Kindern auf Unversehrtheit streite sich hier mit der Religionsfreiheit. Medizinisch gesehen, gebe es aber nur sehr selten einen Grund, eine Vorhaut zu entfernen.
«Es ist indiskutabel, eine Beschneidung ist eine Körperverletzung. Es kommt nicht infrage, dass man sagt, religiöse Grundsätze wiegen schwerer als Menschenrechte von kleinen Kindern», sagt Strafrechtsprofessor Martin Killias gegenüber SRF.
Die Beschneidung von Mädchen ist in der Schweiz verboten, die von Jungen wird im Gesetz nicht erwähnt.
Wichtiger Bestandteil der Religion
Die Beschneidung ist ein integraler Teil der Identität im Judentum und im Islam. Juden werden normalerweise acht Tage nach der Geburt beschnitten, bei Muslimen passiert das oft später, aber noch solange sie Kinder sind. Die meisten Juden und Muslime sind beschnitten.
Die Regel stammt aus der Thora, der heiligen Schrift der Juden. Im Judentum entspricht die Beschneidung dem Bund mit Gott. Sie entspricht etwa der christlichen Taufe. Die Beschneidung wird aber auch bei den meisten säkularen Juden durchgeführt.
«Der Urin wird im Islam als unrein eingestuft»
Der Schweizerisch Israelitische Gemeindebund stimmt in einer Stellungsnahme auf seiner Website zu, dass die religiöse Freiheit nicht über allen anderen Rechten stehen soll. Da es sich aber um einen kleinen Eingriff handle und kaum Auswirkungen auf den Knaben habe, sei es ein absolut angemessener Teil der Religionsfreiheit. Ein Verbot der Beschneidung hingegen wäre absolut unverhältnismässig.
Im Islam ist das ganz ähnlich. Die Vereinigung der islamischen Organisationen in Zürich schliesst sich in einem Interview der jüdischen Argumentation an. Sie argumentieren aber auch, dass es hygienischer sei. Ein Iman erklärt gegenüber dem SRF: «Der Urin wird im Islam als unrein eingestuft. Wenn nur ein wenig in seiner Unterhose bleibt, darf er nicht beten. Wenn ein Muslim fünfmal am Tag das Gebet verrichten soll, dann muss er jedes Mal seine Unterhose wechseln.»