SVP vs. Leuthard3200 oder 40 Franken mehr – wer hat recht?
Der Streit um die Kosten der Energiestrategie eskaliert. Wie können die Zahlen der Gegner und Befürworter so meilenweit auseinanderliegen?
«Die Zahlen der SVP sind schlicht hanebüchen», sagte Bundesrätin Doris Leuthard in einem Interview mit der «Aargauer Zeitung» vom Donnerstag. Sie heizt damit den Streit um die Kosten des Energiegesetzes an, das am 21. Mai vors Volk kommt.
Während das Gesetz laut Leuthard Mehrkosten von 40 Franken pro Haushalt und Jahr bringt, kommt das Gegenkomitee auf 3200 Franken – kaltes Duschen inklusive. Entsprechende Plakate werden in den nächsten Wochen in der ganzen Schweiz hängen (siehe Box). Doch wie kommt die riesige Differenz zustande?
«Rechnung doppelt falsch»
Leuthard berücksichtigt nur Kosten, die die Vorlage vorsieht. Der Netzzuschlag wird um 0,8 Rappen pro Kilowattstunde erhöht. Das ergibt für einen vierköpfigen Haushalt Mehrkosten von 40 Franken pro Jahr. Dagegen rechnen die Gegner um die SVP mit offenem Horizont. Sie nehmen an, dass für die angestrebte Reduktion des Energieverbrauchs weitere, teure Massnahmen nötig sein werden. Jetzt bezichtigen sich beide Seiten unlauterer Methoden.
Leuthards Sprecherin Annetta Bundi sagt, die Rechnung der Kritiker sei «doppelt falsch»: Beispielsweise werde die Klima- und Lenkungsabgabe KELS einbezogen. Mit der Abgabe wollte der Bundesrat in einem zweiten Schritt Brenn- und Treibstoffe sowie Strom verteuern. «Diese Abgabe ist aber weder mehrheitsfähig noch beschlossen.»
Als Lenkungsabgabe würde sie ohnehin wieder zurückerstattet, weshalb man nicht mit ihr kalkulieren dürfe. Und: «Das neue Energiegesetz sieht weder einen Zwang vor, Ölheizungen zu ersetzen oder Gebäude zu sanieren, noch wird der Benzinpreis verteuert, wie behauptet wird.»
Brunner verteidigt Rechnung
Toni Brunner, SVP-Nationalrat und Leiter des überparteilichen Gegenkomitees, lässt die Kritik nicht gelten. «Der Bundesrat selbst geht in seiner Botschaft davon aus, dass der Umbau der schweizerischen Stromversorgung bis ins Jahr 2050 rund 200 Milliarden kostet. Das sind 3200 Franken pro 4-Personen-Haushalt und Jahr.»
Es sei ein «Buebetrickli», wenn man nicht über die wahren Kosten reden wolle. «Ohne neue Steuern, Lenkungsabgaben, Verbote und Zwangsmassnahmen lässt sich der Energieverbrauch bis 2035 niemals um 43 Prozent reduzieren. Das verlangt aber das Gesetz.» Leuthards Aussage, die Steuer auf Treibstoffe werde nicht steigen, sei darum nicht glaubwürdig.
Billiger dank technologischem Fortschritt?
Leuthard hingegen glaubt an den technologischen Fortschritt: an effizientere Geräte und billigere erneuerbare Energien. Sie sagt: «Wir haben das Energiegesetz mit den heutigen Technologien berechnet. Bis 2035 wird sich aber enorm viel entwickeln, die Preise werden entsprechend fallen. Denken Sie nur daran, dass vor 20 Jahren noch kaum jemand ein Handy hatte.»
Brunner kontert: «Das Energiegesetz baut auf Illusionen. Man buttert Geld in ineffiziente Technologien. Wir alle sollen mehr bezahlen, um die Katze im Sack zu kaufen.» Am Ende drohten Gaskombikraftwerke und Kohlestrom aus dem Ausland.
«Niemand steckt mehr Milliarden in ein Kernkraftwerk»
Die Befürworter der Energiestrategie kritisieren an der SVP-Rechnung ausserdem, dass auch bei einem Scheitern des Gesetzes Kosten auf die Schweiz zukämen: «Der Ölpreis wird tendenziell ansteigen.Schon heute kosten uns die Importe von Erdöl, Gas und Uran rund zehn Milliarden Franken», sagt Florian Brunner von der Schweizerischen Energie-Stiftung.
Auch laut Bundi gibt es keine Alternative zur Energiewende: «Es findet sich in der Schweiz niemand mehr, der Milliarden in ein neues Kernkraftwerk stecken würde.» Alpiq, Axpo und BKW hätten ihre Gesuche für Ersatzkraftwerke zurückgezogen.
Brunner sagt, er sei nicht gegen einen Ausbau der erneuerbaren Energien. «Wir brauchen aber keinen Staat, der uns umerziehen und lenken will.» Gerade wenn Leuthard den technologischen Fortschritt beschwöre, sei es absurd, neue Technologien und Forschungen abzuwürgen und andere vorzuschreiben.