Sexualerziehung bei den Kleinsten«Kindergärtler sollen überall aufgeklärt werden»
Beratungsstellen klären pro Jahr 4000 Kindergärtler auf. Wegen guter Erfahrungen wollen sie die Frühaufklärung ausbauen. Die Gegner befürchten, dass die Kinder traumatisiert werden.
Sexueller Aufklärungsunterricht in einem Bündner Kindergarten. Buben und Mädchen erhalten je ein Blatt Papier mit einer Körpersilhouette. Mit grünen und roten Punkten markieren sie Stellen, an denen sie gerne berührt werden – und wo nicht. Im Anschluss thront jedes Kind einmal mit Krone auf dem Stuhl, während ein anderes ihm entgegentritt. Der König bestimmt, wie weit sich sein Gegenüber ihm nähern darf, und ob und wo er angefasst werden will.
«Die Kinder sollen lernen, ihre eigenen und die Grenzen der anderen wahrzunehmen und diese gegebenenfalls zu verteidigen», sagt Ruth Niederreiter von der Fachstelle Adebar in Chur. Die Motivation der Kleinen bei den beschriebenen Übungen sei jeweils hoch. Gerade bei den Kindergärten sei das Interesse an den Programmen der Fachstelle immens. «Im Moment sind wir ausgebucht und können keine weiteren Anfragen annehmen.»
4000 Vier- bis Sechsjährige aufgeklärt
Landesweit wurden im Jahr 2016 rund 4000 Kindergärtler allein von Beratungsstellen sexuell aufgeklärt, wie ein kürzlich veröffentlichtes Monitoring der Stiftung Sexuelle Gesundheit Schweiz (SGCH) zeigt. Christine Sieber, Projektleiterin des Monitorings, spricht von einer «äusserst niedrigen Zahl». Der Grund sei, dass bislang nur wenige Kantone ein Mandat für die Sexualerziehung im Kindergarten erlassen hätten. Über die einzelnen Fachstellen hat SGCH derzeit Angebote in den Kantonen Wallis, Graubünden, Freiburg und Thurgau.
Wegen der positiven Erfahrungen gehen die Sexualpädagogen nun in die Offensive: «Kindergarten-Kinder müssen in allen Kantonen sexuell aufgeklärt werden», fordert Sieber. Denn Übungen wie die eingangs beschriebenen würden ihnen dabei helfen, Gefahrensituationen zu erkennen und sie darin bestärken, Nein zu sagen. «Die Kinder können sich so besser vor sexuellen Übergriffen schützen», so die ausgebildete Sexualpädagogin.
«Angstzustände und Schlafstörungen sind mögliche Folgen»
Ganz anders sehen das die Mitglieder des Vereins Schutzinitiative, der Sexualkunde vor dem neunten Lebensjahr ablehnt. Sie stossen sich an den eingangs erwähnten Beispielen mit den Körpersilhouetten und dem Königsspiel. Laut der SVP-Nationalrätin und ausgebildeten Kindergärtnerin Verena Herzog muss verhindert werden, dass solche Angebote ausgebaut werden: «Mit solchen Übungen greift man in die Intimsphäre der Kinder ein und verletzt ihre Schamgefühle.» Dies könne zu emotionaler Verunsicherungen, Angstzuständen oder gar Schlafstörungen führen.
Durch die Einmischung des Staates, so Herzog, fühlten sich manche Mütter und Väter entmündigt. «Sexualaufklärung im Kindergarten stellt einen massiven Eingriff in den Erziehungsauftrag der Eltern dar.»
Auch Parteikollege Sebastian Frehner sagt: «Grundsätzlich habe ich zwar nichts gegen eine Aufklärungskampagne gegen sexuelle Gewalt und Missbrauch schon im Kindergarten», sagt er. Ihn störe es aber, wenn diese Aufklärung nicht altersgerecht erfolge – wie beispielsweise in Basel. «Für vierjährige Kinder war eine Übung vorgesehen, in der ein Tuch über ein Kind gelegt wurde und die anderen Kinder die Geschlechtsorgane des zugedeckten Kindes abtasten konnten – was für eine Sauerei!»
Lob aus kritischen Kreisen
Für Ruth Niederreiter sind solche Argumente nicht nachvollziehbar. «Sie zeugen von einer Ethik, die auf Angst basiert.» Gerade auf die Zusammenarbeit mit den Eltern lege man viel Wert: «Bevor wir mit dem sexualpädagogischen Unterricht beginnen, werden sie an einem Elternabend genaustens über die Inhalte informiert.»
Die Rückmeldungen aus den vergangenen Jahren seien durchwegs positiv gewesen, noch nie hätten sich Eltern über traumatisierte Kinder beschwert. Niederreiter: «Sogar aus kritischen Kreisen erhielten wir nach einer Eltern-Informationsveranstaltung Lob für unsere Arbeit.»
Das sagt der Lehrplan 21
keinen Sexualkunde-Unterricht im Kindergarten vor. «Sexualaufklärung im eigentlichen Sinn wird erst auf der Mittelstufe der Primarschule und dann systematisch auf der Sekundarstufe vermittelt», sagt Beat Zemp, Zentralpräsident des Dachverbandes Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH).
Schutz vor sexuellen Übergriffen schon im Kindergarten zu vermitteln», so Zemp.
benennen können.
Kantone verantwortlich. Dass externe Fachstellen in Kindergärten sexualpädagogische Unterrichtssequenzen durchführen, ist derzeit eher die Ausnahme als die Regel. Zemp: «Solche Unterrichtseinheiten finden vor allem auf Primarmittelstufe und natürlich auf Sekundarstufe 1 statt.»