Sorge um Kranke und FamilienSchweiz darf Asylbewerber nicht nach Italien schicken
Das Bundesverwaltungsgericht stoppt jede vierte Rückführung von Asylsuchenden nach Italien. Es macht sich Sorgen um ihre Unterbringung und ihr Wohlergehen.
Die Schweiz schickt momentan nicht mehr alle Asylsuchenden nach Italien zurück, für die der südliche Nachbar gemäss Dublin-Übereinkommen zuständig wäre. Betroffen seien Familien und chronisch oder schwer kranke Asylsuchende, so das Staatssekretariat für Migration (SEM) gegenüber der «Neuen Zürcher Zeitung».
Grund für den Stopp sind mehrere vor kurzem publizierte Urteile des Bundesverwaltungsgerichts. Es hiess diverse Beschwerden gegen Rückführungen nach Italien gut. Die Befürchtung des Gerichts: Italien gelinge es nicht, Familien und schwer kranken Asylsuchenden ein angemessenes Dach über dem Kopf zu bieten.
Jede vierte Rückführung nach Italien betroffen
Das Gericht stützt sich dabei auf einen Lagebericht von September zu den aktuellen Aufnahmebedingungen in Italien. Verfasst wurde er von einem Netzwerk aus rund 100 Nichtregierungsorganisationen. Dem Bericht zufolge fehlt es nicht nur an medizinischer Versorgung, sondern es werden auch die gesetzlichen Anforderungen bezüglich Unterbringung nicht erfüllt: Die Lage von Geflüchteten habe sich, seitdem das italienische Einwanderungsgesetz im Jahr 2018 verschärft wurde, deutlich verschlechtert.
Der Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts ist einschneidend: In kein anderes Land hat der Bund letztes Jahr so viele Asylsuchende zurückgeschickt wie nach Italien – 610 Personen. Gemäss einer ersten Überprüfung des SEM dürfte rund jede vierte Rückführung nach Italien von den Urteilen betroffen sein. Diese Ausschaffungen wurden laut dem SEM deshalb vorläufig gestoppt.
Gericht verlangt Garantien
Dieser teilweise Rückführungsstopp wird noch einige Wochen bestehen: Erst dann soll gemäss dem SEM klar sein, ob Italien zusätzliche Garantien für eine adäquate Unterbringung der Asylsuchenden aus der Schweiz liefert. So müsste Italien etwa schriftlich bestätigen, dass Asylsuchende mit schweren oder chronischen Krankheiten eine angemessene medizinische Versorgung erhalten und Familien genügend Schlafplätze sowie Betreuung vor Ort erhalten.
Kann Italien der Schweiz diese Garantien nicht geben, muss das SEM dem Urteil zufolge prüfen, ob die Souveränitätsklausel angewendet werden soll. Damit kann die Schweiz ein Asylgesuch aus humanitären Gründen selbst behandeln, obwohl sie gemäss Dublin-Abkommen nicht zuständig wäre.
Das SEM verweist derweil auf andere Dublin-Staaten wie Deutschland oder Frankreich, die weiterhin Familien und verletzliche Personen nach Italien ausschaffen. Ein Sprecher sagt, dem SEM sei kein anderes Gerichtsurteil in Europa bekannt, das solche «detaillierten individuellen Garantien» verlange.