KonsumBillig oder bio? Die Schweiz hat eine Shopping-Kluft
Tiefpreis-Poulet vom Discounter versus vegane Superfoods aus dem Reformhaus: Noch nie waren die Einkaufsgewohnheiten der Schweizer so unterschiedlich.
«Migros- oder Coop-Kind?»: Früher entschied sich das Konsumverhalten der Schweizer im Wesentlichen an dieser Frage. Heute gehen die Einkaufsgewohnheiten der Schweizer Konsumenten deutlich stärker auseinander: Superbillige Lebensmittel boomen genauso wie top-exklusive.
So liefern sich Hard-Discounter auf der einen Seite einen Preiskrieg um die billigsten Tiefkühlwaren. Erst kürzlich drückte Aldi den Preis für eine Pizza Margherita auf 99 Rappen. Nach der Aufhebung des Mindestkurses gibts die Billig-Pizza sogar für 85 Rappen. Dass die Tiefpreis-Strategie aufgeht, zeigt sich unter anderem daran, dass die Discounter laufend expandieren. Lidl Schweiz, der seine ersten Schweizer Shops 2009 einweihte, wird in wenigen Tagen in Wangs SG seine hundertste Filiale eröffnen.
Gute Zeiten erleben auf der anderen Seite aber auch Gourmetgeschäfte und Reformhäuser. «Kundenzahl und Umsätze steigen seit Jahren kontinuierlich», freut sich etwa Stefan Rot, Geschäftsführer der Müller Reformhaus Vital Shops. Insbesondere vegane Produkte und natürliche Zusätze für Smoothies seien derzeit stark nachgefragt. Für Weizengraspulver, Matcha-Tee oder Chia-Samen – sogenannte Superfoods – griffen die Kunden tief in die Taschen. Auch bei Globus Delicatessa heisst es: «Für Artikel, die einen Mehrwert bieten, sind Kunden bereit, viel Geld auszugeben.» Gefragt seien «spannende und spezielle Produkte, die Qualität, Einzigartigkeit und Hintergrundgeschichten aufweisen».
Geiz ist nicht für alle geil
Konsumpsychologe Christian Fichter bestätigt, es gebe eine zunehmende Kluft zwischen sehr preissensiblen und sehr anspruchsvollen Konsumenten. Die beiden Trends hätten einen direkten Zusammenhang: «Erst als Hard-Discounter wie Aldi und Lidl hierzulande ihre Filialen eröffneten, kam die Geiz-ist-geil-Mentalität so richtig in der Schweiz an.» Dies habe gleichzeitig eine Gegenreaktion provoziert: «Viele Leute wollten ein Zeichen setzen: Indem sie in Gourmetgeschäften und Bioläden einkaufen, signalisieren sie, dass sie sich hochwertige Lebensmittel leisten können und wollen.»
Zudem habe die Bewegung der sogenannten Lohas – Personen mit einem besonders gesunden und nachhaltigen Lebensstil (von englisch «lifestyles of health and sustainability») – durch die diversen Lebensmittelskandale der vergangenen Jahre Auftrieb erhalten. Viele Leute hätten sich gefragt: «Will ich wirklich ein chemiegetränktes Billigpoulet auf dem Tisch?» Bei ihnen stehe der Gesundheitsgedanke im Vordergrund.
Steigende Nachfrage erwartet
Auch Stefan Rot vom Müller Reformhaus führt den Boom in seinen Geschäften darauf zurück. «Die Tendenz zu billig produzierten Lebensmitteln auf der einen Seite wird den Trend zu hochwertigen Produkten auf der anderen Seite weiter verstärken», ist er überzeugt.
Auf eine weiterhin steigende Nachfrage stellen sich auch Aldi und Lidl ein. «Anfänglich mit Argwohn betrachtet, sind wir nun nach 10 Jahren eine fixe Grösse in der Schweizer Detailhandelslandschaft», freut sich Aldi-Sprecher Philippe Vetterli. Man spreche inzwischen Kunden jeden Alters an – von Studenten über Familien bis hin zu Senioren.
Lohn und kulturelle Zugehörigkeit ausschlaggebend
Den Spagat zwischen beiden Kundengruppen wagt Coop. «Die Kundenbedürfnisse sind in den letzten Jahren vielfältiger geworden», sagt Sprecher Ramón Gander, «deshalb haben wir stark in den Ausbau und die Struktur unseres Sortiments investiert.» Sowohl das Prix-Garantie-Sortiment als auch das Fine-Food-Angebot entwickle sich «erfreulich».
Die unterschiedlichen Vorlieben der Konsumenten haben ihre Ursache laut Psychologe Christian Fichter zwar auch in der sich öffnenden Lohnschere: «Während sich Schweizer Doppelverdiener-Paare fast alles leisten können, müssen Working Poors jeden Rappen zweimal umdrehen.» Allerdings gebe es durchaus Leute aus der oberen Mittelschicht, die ebenfalls in Aldi und Lidl einkaufen – das Einkommen sei also nicht die einzige Erklärung. Ein weiterer Faktor sei etwa die kulturelle Zugehörigkeit. «Leute mit Migrationshintergrund reagieren tendenziell etwas weniger sensitiv auf Gesundheitsbotschaften als Schweizer.»