Bund prüft rechtlichen RahmenKommt jetzt die Corona-Warn-App?
Mit einer App den Lockdown verkürzen? Die Contact-Tracing-Technologie erkennt, mit wem Kranke in Kontakt waren – und warnt diese vor.
«Eine deiner Begegnungen wurde positiv auf das Coronavirus getestet.» So oder ähnlich könnte die Nachricht lauten, die User einer Contact-Tracing-App künftig erhalten. App-Entwickler aus ganz Europa haben sich dazu in der in einer Non-Profit-Organisation zusammengeschlossen. Die Pan-European Privacy Preserving Proximity Tracing-Initiative (PEPP-PT) will mittels der Contact-Tracing-Technologie die Ansteckungskette des Coronavirus unterbrechen. Daniel Koch, der Corona-Beauftragte des Bundesamts für Gesundheit (BAG), sagte gestern vor den Medien, dass der Bund das Projekt prüfe. Schon heute soll es mehr Informationen dazu geben.
App warnt, wenn man Erkrankten zu nahe kam
Doch wie funktioniert das Frühwarnsystem? «Über die Bluetooth-Verbindung des Smartphones kann der Abstand zu anderen Geräten gemessen werden. Wenn Personen eine gewisse Zeit lang nahe beieinander stehen, wird das von der App registriert», erklärt It-Sicherheitsexperte Marc Ruef. Das Ziel sei, dass positive Getestete oder solche mit eindeutigen Anzeichen ihre Infektion der App melden, sodass diese automatisch Kontakt aufnehmen kann mit Personen, die dem Erkrankten zu nahe gekommen sind. Wegen der Mitteilung können diese sich testen lassen oder in Quarantäne begeben, noch bevor Husten oder andere Symptome auftauchen.
Forscher und Entwickler aus acht Ländern arbeiten an der PEPP-PT, darunter auch der Epidemiologe Marcel Salathé von der ETH Lausanne. Da Infizierte bereits ansteckend seien, bevor sie erste Symptome haben, müssten sämtliche Personen, mit denen der Patient Kontakt gehabt habe, aufgespürt werden können, so Salathé in einem Interview mit der NZZ. Als Covid-19-Patient sei man ein Funke, der leicht zu einem Waldbrand führen könne. Deshalb dürfe kein einziger Fall vernachlässigt werden. Wenn mehr als 60 Prozent der Bevölkerung eine solche App nutzten, sei ein Erfolg gesichert. Wie das BAG auf Anfrage mitteilt, sind Abklärungen mit dem Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten (EDÖB) am Laufen. Das EDÖB war gestern für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
App greift tief in Privatsphäre ein
Weil Apps, die die Contact-Tracing-Technologie anwenden, Bewegungsprofile erheben und damit in die Privatsphäre der User eingreifen, sind sie datenschutztechnisch umstritten. «Solche Apps registrieren, wer wann mit wem war», so Ruef. «Das sind Daten, an denen auch Technologiekonzerne oder staatliche Behörden grosses Interesse haben.» Dass die App länderübergreifend ausgelegt sei, sei für die Bekämpfung des Virus absolut sinnvoll. Den Datenschutz mache es allerdings komplexer: «Die grosse Frage ist, wem diese Daten gehören und was mit ihnen passiert.»
App-Pflicht ist nicht auszuschliessen
Martin Steiger, Anwalt für Recht im digitalen Raum, hat weniger Bedenken. «Sollten solche Apps kommen, ist das eine Riesenchance. Es ist essentiell, dass möglichst viele Leute sie installieren.» Gelänge das nicht, sei auch eine App-Pflicht nicht auszuschliessen. «Die Daten bleiben primär auf den Geräten. Pepp-PT arbeitet mit temporären IDs, damit die Nutzer nicht identifizierbar sind. Die Geräte der User kommunizieren nur über diese verschlüsselten IDs.» Europa sei ohnehin längst ein gemeinsamer grosser Datenraum. «Solche Apps sind sowohl mit dem Schweizerischen Datenschutz- wie auch dem Epidemiengesetz kompatibel, Änderungen müssen keine vorgenommen werden.»
It-Sicherheitsexperte Marc Ruef glaubt nicht, dass die Nutzerdaten auf der App unhackbar sind. «Irgendwo werden die Infos über diese ID abgelegt. Wer dieses Mapping mitlesen kann, kann früher oder später die Deanonymisierung umsetzen.» Trotz dieser Bedenken würde er die App bei einer Empfehlung des Bundes sofort installieren: «Wenn damit auch nur ein Menschenleben gerettet werden kann, wäre es mir das wert.»