StudiumMathe-Nerds sind plötzlich attraktiv
Mathematisch-naturwissenschaftliche Studiengänge werden immer beliebter. Grund dafür ist auch die TV-Serie «The Big Bang Theory».

Jugendforscher und Soziologen sind sich einig, dass die jungen Menschen heute mathematisch-naturwissenschaftliche Fächer studieren, weil sie unter anderem pragmatischer eingestellt sind.
KeystoneMathematik, Biologie, Chemie und Physik: An mindestens eines der Schulfächer erinnern sich viele Schulabgänger mit Grauen. Denn oft mühte man sich mit komplizierten Formeln und Theorien ab. Hunderte junge Menschen beschäftigen sich aber nach dem Mittelschulabschluss freiwillig mit den «Horror-Fächern». Die Mathematisch-naturwissenschaftliche Fakultät (MNF) der Universität Zürich verbucht einen Studentenansturm.
Laut Dekan Bernhard Schmid ist die MNF die seit 2000 am schnellsten wachsende Fakultät der Uni Zürich. Im Vergleich zu 2005 stieg die Zahl der Studenten um 40 Prozent auf rund 3800. Und bis im Jahr 2020 werden rund 5000 Studenten erwartet. Schmid befürchtet sogar Platzprobleme. Woher kommt der Andrang?
«Kühles Kalkulieren»
Jugendforscher und Soziologen sind sich einig, dass die jungen Mensche heute pragmatischer eingestellt sind. Lukas Golder, Jugendforscher beim Gfs.Bern, verweist auf den CS-Jugendbarometer 2015. Darin geben die Befragten mehrheitlich an, dass ihnen bei der Wahl der Ausbildung die Berufsziele wichtiger sind als Selbstverwirklichung. Jugendkulturforscher Bernhard Heinzlmaier spricht von einem europäischen Phänomen. «Die Leute studieren nicht mehr aus Leidenschaft, sondern kalkulieren kühl.» Sie wählten das Studium mit den besten Berufschancen.
Soziologieprofessor Ueli Mäder merkt an, dass in letzter Zeit oft darüber diskutiert wurde, ob ein geisteswissenschaftliches Studium eine brotlose Kunst ist. «Das hat einige Jugendliche mit dazu bewogen, sich für ein handfesteres Studium zu entscheiden.»
«The Big Bang Theory» macht Nerds attraktiv
Die Fachleute verbinden die Studienwahl aber auch mit der digitalisierten Welt. Laut Lukas Golder sorgen «Supermilliardäre» wie Apple-Chef Tim Cook oder Facebook-Gründer Mark Zuckerberg für eine «Goldgräberstimmung». Auch die beiden hochintelligenten, linkischen jungen Physiker der TV-Erfolgsserie «The Big Bang Theory» werteten das Image des sogenannten Nerds auf. In den 80er-Jahren sei der schöne Tänzer von «Dirty Dancing» Vorbild gewesen. «Heute geben die Nerds den Ton an.»
Bernhard Heinzlmeier sieht einen weiteren Grund in TV-Sendungen wie Dschungel-Camp. «Da lassen sich Leute mit Maden überschütten, nur um Kohle und Aufmerksamkeit zu erhalten.» Ähnlich verhalte es sich, wenn man ein mathematisches-naturwissenschaftliches Studium des Geldes wegen wähle. «Um Ansehen und Geld zu verdienen, nimmt man auch ein Studium in Kauf, das ein Kampf ist.» Und er doppelt nach: Die junge Generation sei verbissen und verbohrt. «Die Freiheit haben sie längst für den Konsum aufgegeben.»
Ueli Mäder stellt einen anderen Zusammenhang her. Alle elektronischen Geräte wie Computer, Tablet und Smartphone funktionierten wie von Zauberhand. «Vieles ist von der sinnlichen Wahrnehmung entrückt. Das weckt bei einigen Jungen das Interesse zu erfahren, woher all die Funktionen kommen.»
Die Welt verbessern
Für Bernhard Schmid, Dekan der Mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät, ist der Zulauf von Studierenden ein Zeichen dafür, dass das Engagement für die sogenannten Mint-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik), das an Schulen und Universitäten gegen den Fachkräftemangel gemacht wird, Wirkung zeigt.
«Die mathematisch-naturwissenschaftlichen Studienprogramme haben das nerdige, rein techniklastige Image verloren.» Auch sähen die Menschen angesichts der ökologischen Herausforderungen die Möglichkeit, etwas für Umwelt und Nachhaltigkeit bewirken zu können.