Mit Steinen spitalreif geprügelt – keiner hilft

Aktualisiert

Wohlen AGMit Steinen spitalreif geprügelt – keiner hilft

Für vier junge Schweizer wurde der Ausgang zum Albtraum. Sie wurden am Bahnhof vor Zeugen brutal angegriffen – diese alarmieren nicht einmal die Polizei.

gbr
von
gbr
Die Tat geschah am Samstag, 2. April 2016 kurz vor 23.45 Uhr am Bahnhof Wohlen AG.

Die Tat geschah am Samstag, 2. April 2016 kurz vor 23.45 Uhr am Bahnhof Wohlen AG.

Kein Anbieter/Voyager/Wikipedia

«Ich war am Samstag mit einer Freundin in Wohlen in der Shisha-Bar», sagt die 18-jährige F. H.* zu 20 Minuten. Die Sätze sprudeln nur so aus ihr heraus. «Ich bin geschockt», sagt sie mehrmals während ihrer Erzählung über das, was sie am Samstag ab ca. 23.40 Uhr am Bahnhof Wohlen AG erleben musste.

«Zwei Kollegen haben uns von der Bar zum Bahnhof begleitet. Dort wollten wir den 23.46-Uhr-Zug nach Lenzburg nehmen.» Am Bahnhof hatte es «drei Typen, die haben uns nachgepfiffen. Wir haben sie nicht beachtet, sind einfach weitergegangen zum Gleis», erzählt F. weiter. Dort angekommen, warteten die vier auf den Zug. «Es hatte recht viele Leute. Ich würde sagen, so gegen 40 waren es: auf dem Perron, beim Bus.» Dann hätten sie auch die drei jungen Männer wieder gesehen – diesmal mit Verstärkung. «Die rannten über die Geleise, vielleicht zwölf, fünfzehn Typen. Sie kreisten uns ein.»

«Sie schlugen ihm mit Steinen gegen den Kopf»

Was F. als «unangenehme Situation» schildert, verschlechtert sich bald rasant. «Die Männer – ich glaube es waren alles Eritreer – wollten meinen beiden Kollegen die Hand schütteln. Einer gab ihnen die Hand. Der zweite Kollege wollte das nicht und sagte: ‹Geht weg›.» Da sei die angespannte Stimmung vollends gekippt. F.: «Sie stürzten sich alle auf ihn, schlugen und traten ihn von allen Seiten.» Der 17-jährige* Schweizer versuchte seinem 19-jährigen* Freund zu helfen – «da schlugen sie auch auf ihn ein.»

Dann hätten F., ihre Freundin und der jüngere Kollege mitansehen müssen, wie das ganze komplett ausartete: «Sie warfen meinen Kollegen auf das Gleis, kickten ihn weiter, nahmen Steine, vom Schotter, und damit schlugen sie ihn immer wieder, gegen den Kopf, überall.»

«Es kann doch nicht sein, dass niemand etwas macht»

Was danach genau wann geschah, das weiss F. nicht mehr genau. «Wir standen unter Schock.» An folgende einzelne Ereignisse kann sie sich aber genau erinnern: Der Zug nach Lenzburg fuhr ein, die Leute auf dem Perron – alle Zeugen des Vorfalls – stiegen ein. «Ich konnte nicht einsteigen, wir waren ja nicht alle, und dann waren die Türen vom Zug schon wieder zu», sagt F. «Ich erinnere mich, dass ich einem jungen Paar, das da war, mehrmals gesagt habe, sie sollen die Polizei rufen. Doch die kehrten einfach um und taten nichts!», so F. weiter.

F. erinnert sich noch an etwas: «Die Schläger rannten in zwei Gruppen weg, eine stieg in den Bus nach Villmergen. Vom Bus aus hat man alles genau gesehen. Die Leute dort und der Chauffeur, die müssten eigentlich alles mitbekommen haben.» F. ruft ihre Mutter* an, bittet sie um Hilfe. F.'s Mutter sagt zu 20 Minuten: «Ich habe meiner Tochter gesagt: ‹Ich bin schon unterwegs. Du musst jetzt sofort die Polizei anrufen und denen alles sagen›.»

Polizei bestätigt erste Festnahmen

Um 0.12 Uhr läutet bei der Kapo AG das Telefon. Es ist F. Sie ist die erste und bisher die einzige Anruferin, die im Protokoll vermerkt sei. Sofort rückt die Kantonspolizei nach Villmergen aus. Vor dem Restaurant Ochsen halten die Polizisten mehrere Leute an, machen Fotos, senden die Bilder auf F.s Handy. F.: «Drei davon habe ich sofort wiedererkannt». Die Kantonspolizei Aargau bestätigt auf Anfrage, dass man gegen 01.40 Uhr drei Eritreer in Villmergen verhaftet habe.

«Auch das schockiert mich total», sagt F.: «Warum hat niemand von all den Leuten etwas gemacht?» Ihre Mutter sagt: «Es kann und es darf doch nicht sein, dass man nicht einmal dem 117 anruft, wenn so etwas passiert? Schauen denn alle nur weg?»

Die beiden jungen Frauen blieben bei der Attacke körperlich unversehrt. Der 17-Jährige ist mit kleineren Kopfverletzungen davongekommen, der 19-Jährige war am Sonntag noch zur Überwachung im Spital in Muri AG, konnte es dann in Verlauf des Tages laut F. wieder verlassen. Er habe Prellungen und Muskelrisse am ganzen Körper.

*Namen der Redaktion bekannt

In eigener Sache

Die Angaben zweier Hauptzeugen in diesem Artikel – konkret die direkten und indirekten Aussagen des Opfers F. H.* und ihrer Mutter – haben sich seit der Publikation teilweise als übertrieben sowie als unwahr erwiesen. 20 Minuten bedauert diesen Umstand: Beide Frauen wurden befragt, beiden wurde der ganze Text mit ihren Zitaten in direkter und indirekter Rede gezeigt – und beide haben auf Rückfrage bestätigt, es sei alles korrekt.

Deine Meinung zählt