Teure NächstenliebePfarrer wegen Hilfe für Sans-Papiers verurteilt
Ein Westschweizer Pastor wurde wegen der vorübergehenden Beherbergung eines abgewiesenen Asylbewerbers verurteilt. Kirchenvertreter kritisieren den Entscheid.
Norbert Valley ist bekannt für sein soziales Engagement. Auch vor kurzem zeigte sich der Westschweizer Pastor wieder von seiner barmherzigen Seite: Er gewährte einem abgewiesenen Asylbewerber, der sich illegal in der Schweiz aufhielt, in seiner Kirchgemeinde Unterschlupf. «Als Christ leitet die Nächstenliebe Gottes meine Lebensweise», wird Valley in einer Medienmitteilung des Réseau évangélique suisse (RES), dem Westschweizer Teil der Schweizerischen Evangelischen Allianz, zitiert.
Seine Nächstenliebe kommt Ex-RES-Präsident Valley nun aber teuer zu stehen: Die Staatsanwaltschaft des Kantons Neuenburg verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 1000 Franken mit zwei Jahren Bewährungsfrist. Die Begründung: Valley habe den «illegalen Aufenthalt eines togolesischen Staatsbürgers erleichtert», indem er ihm «mehrmals Unterkunft und Verpflegung angeboten» habe, wie der Mitteilung weiter zu entnehmen ist.
«Solidaritätsdelikt»
Die Staatsanwaltschaft stützt ihr Urteil auf Artikel 116 des Ausländergesetzes. Die Bestimmung sieht eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe für denjenigen vor, der «in der Schweiz oder im Ausland einer Ausländerin oder einem Ausländer die rechtswidrige Ein- oder Ausreise oder den rechtswidrigen Aufenthalt in der Schweiz erleichtert oder vorbereiten hilft».
Das RES kritisiert den Entscheid der Justiz. Man bedaure sehr, «dass eine Bestimmung des Ausländergesetzes, deren Ziel die Bekämpfung von ‹Schleppern› ist, dazu benutzt wird, Personen zu verurteilen, welche aus Gewissensgründen solidarisch handeln». Die Verurteilung deute darauf hin, dass es in der Schweiz ein «Solidaritätsdelikt» gebe.
Grosse Versuchung bei Pfarrern
Eine solche Verurteilung sei in der Schweiz kein Novum, sagt Michael Mutzner, Co-Sekretär des RES. «Ich selbst kenne vier weitere Personen, die unlängst gestützt auf Artikel 116 verurteilt wurden, weil sie illegale Asylbewerber bei sich aufgenommen hatten.» Insbesondere Pfarrer seien anfällig, mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. «Sie werden immer wieder von abgewiesenen Asylbewerbern um Hilfe gebeten und geraten so in das Dilemma, sich solidarisch zu zeigen und gleichzeitig gegen das Gesetz zu verstossen», sagt Mutzner.
Für Mutzner ist deshalb klar: «Das Gesetz und seine Umsetzung müssen dringend unterscheiden zwischen Leuten, die Asylanten ausbeuten und an ihnen Geld verdienen wollen, und solchen, die ihnen uneigennützig helfen.»
Mutig, aber auch naiv
Pfarrer und Buchautor Josef Hochstrasser stimmt zu: «Einen abgewiesenen Asylbewerber in Not aufzunehmen, erfordert Zivilcourage und ist aus christlicher Sicht ein legitimer Weg.» Andererseits stecke hinter einer solchen Tat auch Naivität. «Die praktizierte Nächstenliebe mag für den Moment gut sein, eine Lösung für das eigentliche Problem – nämlich, dass die Menschen überhaupt gezwungen sind, in die Schweiz zu kommen – bringt sie aber nicht», so Hochstrasser.
Auch für Hochstrasser gehört Pfarrer Valley aufgrund seines uneigennützigen Motivs nicht bestraft. «Vertretbar wäre höchstens eine symbolische Verurteilung mit einer geringfügigen Busse.»
Pfarrer kann keine Privilegierung erwarten
Zurückhaltender äussert sich Luc Humbel, Präsident der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ). «Beherbergt ein Pfarrer einen abgewiesenen Asylbewerber aus der Überzeugung, dass ihm sein Glaube den Schutz von Schwachen gebietet, so mag dies im Einzelfall nachvollziehbar sein», sagt Humbel. Er müsse dabei aber immer auch die Wirkung auf seine Pfarrei und die Rechtsfolgen für sich selbst vor Augen halten. Humbel: «Nur weil eine Person dies als Pfarrer tut, kann sie bei Artikel 116 des Ausländergesetzes keine Privilegierung erwarten.»
Was würde er einem Pfarrer raten, der sich in der Zwickmühle zwischen Solidarität und Illegalität befindet und einen abgewiesenen Asylbewerber aufnehmen will? Es sei immer der Einzelfall zu beachten, sagt Humbel. «Generell kann niemandem direkt geraten werden, in solchen Fällen gegen das Gesetz zu verstossen.» Bei der Frage von Kirchenasyl würde sich dies anders verhalten (siehe Box).
Norbert Valley – kein Fall von Kirchenasyl
Die deutsche Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche definiert Kirchenasyl als «letzter, legitimer Versuch (ultima ratio) einer Gemeinde, Flüchtlingen durch zeitlich befristete Schutzgewährung beizustehen, um auf eine erneute, sorgfältige Überprüfung ihrer Situation hinzuwirken.» Luc Humbel, Präsident der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ), betont, dass stets «eine Gemeinschaft und nicht eine Einzelperson dieses Asyl gewährt».
Und: «Kirchenasyl setzt immer die Information der zuständigen Behörden voraus, geschieht also nie heimlich und kann deshalb auch nicht als Beihilfe zum Untertauchen oder Ähnliches ausgelegt werden», so Humbel.
Im Falle von Pfarrer Norbert Valley handelt es sich folglich nicht um Kirchenasyl. Zum einen hat er die Behörden nicht über die Unterbringung des togolesischen Asylbewerbers in Kenntnis gesetzt. «Zum anderen ging es Valley nicht um eine Neubeurteilung der Situation. Er wollte dem Flüchtling einfach nur in seiner Notsituation helfen», sagt Michael Mutzner, Co-Sekretär RES.
Vor dem Gesetz spielt es indes keine Rolle, ob es sich bei der Unterbringung eines illegalen Asylbewerbers um Kirchenasyl handelt oder nicht. Das Kirchenasyl sei kein rechtlicher Begriff, wie das Staatssekretariat für Migration betont. «Juristisch besteht kein Unterschied, ob jemand in einer Kirche, bei einer anderen Institution oder in einem Privathaushalt Zuflucht sucht. Es gibt keine Sonderrechte für die Kirchen», heisst es auf Anfrage.