«Gegen eine Rakete hat der Pilot keine Chance»

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Warnung im Flugverkehr«Gegen eine Rakete hat der Pilot keine Chance»

Die europäische Flugsicherung warnt Fluggesellschaften vor möglichen Raketen im östlichen Mittelmeerraum. Was das genau bedeutet, erklärt Berufspilot Philip Keil.

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Ein Flugabwehrrakete erleuchteten den Himmel über Damaskus: Die USA, Frankreich und Grossbritannien haben in der Nacht auf Samstag Syrien angegriffen.
Es waren Explosionen am Stadtrand von Damaskus zu hören.
Der Militäreinsatz der Westmächte in Syrien ist nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums generell ein Schlag gegen die Infrastruktur der chemischen Waffenproduktion des Landes gewesen.
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Ein Flugabwehrrakete erleuchteten den Himmel über Damaskus: Die USA, Frankreich und Grossbritannien haben in der Nacht auf Samstag Syrien angegriffen.

Keystone/Hassan Ammar/AP

Herr Keil, die europäische Flugsicherung mahnt Fluggesellschaften wegen möglicher Luftangriffe in Syrien zur Vorsicht im östlichen Mittelmeer. Wie schätzen Sie die Warnung ein?

Wichtig scheint mir die Einordnung. Objektiv betrachtet handelt es sich um eine reine Information an die Airlines, die diese bei ihrer Planung zu berücksichtigen haben. Dass etwa die Lufthansa seit Wochen nicht mehr in das betroffene Gebiet fliegt, zeigt aber, dass solche Warnungen durchaus ihre Berechtigung haben.

Die Warnung bezieht sich nicht nur auf den syrischen Luftraum, sondern auch auf die Gegend um Zypern. Muss ich mich nun fürchten, wenn ich morgen nach Larnaca fliege?

Nein, da besteht keine unmittelbare Gefahr an Leib und Leben. Zypern ist 250 Kilometer von Syrien entfernt. Zudem bezieht sich die Warnung ja auf mögliche Störungen der Navigations- und Kommunikationsausrüstung der Passagierflugzeuge und nicht auf einen drohenden Raketenabschuss.

Welche Folgen haben solche Störungen?

Was heute bei Kriegshandlungen als Equipment eingesetzt wird, ist hochmodernes Hightech-Gerät, das auch starke elektromagnetische Strahlung erzeugt. Da kann es zu Interferenzen mit unseren Bordsystemen kommen. Als Pilot hat man darauf wenig Einfluss, wenn es erst einmal dazu kommt.

Das klingt ziemlich beunruhigend.

Grundsätzlich stürzt ein Flugzeug deshalb nicht ab. Es lässt sich auch ohne jegliche Computerunterstützung sicher steuern. Aber natürlich, wenn ich mit dem Fluglotsen plötzlich nicht mehr kommunizieren kann und auf navigatorische Unterstützung verzichten muss, ist das ein Sicherheitsaspekt.

Was wäre denn der Worst Case?

Sollte sich so eine Störung der Navigation in Wolken und niedriger Höhe ereignen, könnte dies zur vorübergehenden Orientierungslosigkeit der Piloten und im äussersten Extremfall zum Kontrollverlust führen.

Was würde denn eine Raketenwarnung im östlichen Mittelmeerraum bedeuten?

Eine Raketenwarnung, mit der wir es aber augenblicklich nicht zu tun haben, würde bedeuten, dass unter keinen Umständen in dieses Gebiet geflogen wird.

Kann denn ein Passagierflugzeug in 10'000 Metern Höhe überhaupt von einer Rakete getroffen werden?

Heutige High-Tech-Waffensysteme sind in der Lage, ein Flugzeug in dieser Höhe gezielt abzuschiessen. Das hat der Vorfall 2014 gezeigt, als im Rahmen des Ukrainekriegs eine unbeteiligte Zivilmaschine der Malaysia Airlines in fast zehn Kilometern Höhe abgeschossen wurde. Dieses Unglück hat die Airlines bei ihrer Streckenplanung sicher sensibilisiert.

Kann man als Pilot gegen eine anziehende Boden-Luft-Rakete denn gar nichts ausrichten?

Nein, keine Chance. Die Geschwindigkeit der Rakete ist viel zu hoch und ein Passagierflugzeug viel zu träge, um dem Geschoss ausweichen zu können. Auch der Radar erfasst die Rakete nicht rechtzeitig, um das Unheil abzuwenden.

Haben Sie selbst schon Flüge mit mulmigem Gefühl absolviert?

Das nicht. Allerdings habe ich schon Flüge abgelehnt, bei denen sicherheitsrelevante Aspekte eine Rolle spielten, etwa über die Sinai-Halbinsel in Ägypten, als dort ein Flugzeug kurz zuvor abgeschossen wurde, oder nach Israel, als der Nahost-Konflikt mal wieder eskalierte.

Zur Person

Philip Keil (37) ist aktiver Berufspilot und Sachbuchautor. Er arbeitet bei einer deutschen Fluggesellschaft und hält Vorträge über Sicherheit.

Swiss-Flüge nicht betroffen

Die Flüge der Swiss seien von der Warnung der europäischen Flugsicherung aktuell nicht betroffen, teilt Swiss-Sprecherin Sonja Ptassek auf Anfrage mit. «Der entsprechende Luftraum wird von uns als Vorsichtsmassnahme seit Längerem nicht überflogen.» Obschon sich der Warnhinweis nicht nur auf den syrischen Luftraum, sondern auch auf die Gegend um Zypern bezieht, müssten sich Passagiere, die in den nächsten Tagen mit Swiss oder deren Tochtergesellschaften nach Zypern, Ägypten oder in die Türkei reisen, keine Sorgen machen. Ptassek: «Die Gebiete, vor denen gewarnt wird, liegen weiter östlich.»

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