ZürichRadikale Christen predigen gegen Homosexualität
Fundamentalistische Christen, die kürzlich in Valencia eine Massenpanik auslösten, sind nun auch in der Schweiz unterwegs.
«Wenn du heute Abend sterben würdest, wo würdest du landen?», fragt der kräftige Mann mit der blauen Weste Passanten in der Zürcher Bahnhofstrasse. Dazu drückt er ihnen Flyer in die Hand, die gegen Alkoholkonsum, Homosexualität und Abtreibung werben. Durch das Hören von Rockmusik oder das Lesen von Harry-Potter-Büchern würde man seine Seele direkt an den Teufel verkaufen, steht weiter auf den Flyern.
Der aggressiv sprechende Mann gehört zum deutschen Missionsverbund «Werde Licht». Vergangene Woche hatten Männer derselben Organisation in einem U-Bahn-Wagen in der spanischen Stadt Valencia Panik ausgelöst, weil sie mit Terroristen verwechselt wurden. Sie schrien in ein Megaphon, dass der Wagen voller «Sünde, Alkohol, Drogen und Hurerei» sei und die Passagiere alle als Sünder sterben und «in der Hölle brennen» würden.
«Radikal und veraltet»
Laut Sektenexperte Georg Schmid lässt sich die in der Schweiz bisher unbekannte Gruppe am radikalen und fundamentalistischen Rand der Freikirchenszene verorten. «Was die Männer tun, ist Schockpropaganda», sagt Schmid. «Werde Licht» agiere auf eine Art und Weise, wie es Freikirchen normalerweise nicht tun würden
Dass Rockmusik als des Teufels verurteilt werde, sei veraltet, so Schmid: «Viele Freikirchen waren vor 30 Jahren gegen Rockmusik, heute spielen sie sie selber.» Auch in Sachen Homosexualität gebe es bei den Freikirchen momentan ein Umdenken.
Konvertierte Strassenprediger
Neben den Flyern verteilen die Männer des Missionsverbundes Bibeln, einige davon in arabischer Sprache. Die Gruppe, die im Kern aus aramäischen Christen besteht, spricht in Deutschland gezielt arabische Männer mit muslimischem Glauben an, um sie zu bekehren. Solche Neu-Bekehrte seien oft besonders fanatisch, erklärt der Sektenexperte. Während konventionelle Freikirchen übereifrige Neumitglieder gemäss Schmid in der Regel bremsen, halten sie bei «Werde Licht» Strassenpredigten, was die Radikalität der Gruppe weiter zuspitze.
Grundidee der Meinungsfreiheit
Das Verteilen von religiösen Schriften und Flyern durch Einzelpersonen ohne Infrastruktur ist in der Schweiz ohne Bewilligung erlaubt. 2017 gab das im Hinblick auf die Koranverteilungskampagne Lies! zu reden. Da Lies! im Verdacht stehe, IS-Kämpfer angeworben zu haben, könne «Werde Licht» unter keinen Umständen mit der Koranverteilungskampagne verglichen werden, sagt der Rechtsprofessor Markus Schefer.
«Die Grundidee der Meinungsfreiheit ist es, dass man sich mit jeder Meinung konfrontieren lassen muss, unabhängig davon, wie falsch man diese findet», so Schefer. Gegen eine Äusserung einer Person könne erst dann etwas unternommen werden, wenn dem Angesprochenen konkrete Nachteile angedroht würden, etwa eine Verletzung seiner körperlichen Integrität.
rechtlich alles in Ordnung
Rechtlich mache «Werde Licht» nichts falsch, sagt auch Marco Cortesi, Sprecher der Stadtpolizei Zürich. Es sei nicht verboten, Passanten anzusprechen und religiöse Schriften zu verteilen – berühren hingegen dürfe man niemanden. «Fühlt sich jemand durch die Aktion aber belästigt, kann er sich an die Polizei wenden», so Cortesi. Dann könne die Sache überprüft werden und gegebenenfalls würden weitere Massnahmen eingeleitet.