SelbstbestimmungsinitiativeSVP-Glarner packt den Zweihänder wieder aus
Mit Minaretten und Sommaruga kämpft ein Komitee um SVP-Nationalrat Andreas Glarner für die Selbstbestimmungsinitiative. Das könnte ein Eigengoal werden, sagt ein Experte
Mit einem doppelseitigen Inserat auf der Frontseite von 20 Minuten wirbt das Egerkinger Komitee um SVP-Nationalrat Andreas Glarner heute für die Selbstbestimmungsinitiative (SBI). Darauf zu sehen ist ein Minarett – und die Frage, ob «türkische Richter unser Minarettverbot aushebeln können sollen». Auf der zweiten Seite wird auf einen Entscheid des EU-Gerichtshofs Bezug genommen, der eine österreichische Massnahme zum Schutz vor Lohndumping für ungültig erklärt hatte. «Arbeitslos dank fremden Richtern?», heisst es dazu. Die Themen- und Bildsprache stehen in scharfem Kontrast zur offiziellen SVP-Kampagne, die als für SVP-Verhältnisse ausgesprochen zurückhaltend taxiert wurde. Entsprechend sorgte Glarners Kampagne bei den Gegnern der SBI für heftige Reaktionen auf Social Media.
Mit dem Inserat wolle er Unentschlossene erreichen und die eigene Basis mobilisieren, sagt Glarner. Dabei soll es nicht bleiben. Auch am Mittwoch hat das Komitee die Frontseite von 20 Minuten gekauft. «Wir werden den UNO-Migrationspakt thematisieren», so Glarner. «Wir zeigen einen Cartoon, der Simonetta Sommaruga an der Grenze zeigt. Sie ruft ‹Hereinspaziert!› und holt Flüchtlinge ins Land.»
«Zielt auf Ängste»
Mit der SVP hätten die Inserate nichts zu tun. «Sehr viele Leute sind auf mich zugekommen und haben mich gedrängt, endlich Gas zu geben», sagt Glarner. In kurzer Zeit sei «erstaunlich viel Geld» zusammengekommen. Gemäss der aktuellen Preisliste von Tamedia kostet ein Inserat auf den Seiten 1 und 2 von 20 Minuten in der Deutschschweiz ohne Rabatte 164'500 Franken. Bei der SVP heisst es, «angesichts der massiven und aggressiven Gegenkampagne» freue sich die Partei «über alle Gruppierungen, die sich für Selbstbestimmung einsetzen». Es habe aber keine Absprache bezüglich Inhalt und Grafik gegeben.
Der Politologe Michael Hermann sagt, mit den Inseraten ziele das Komitee auf Ängste und Emotionen. «Die Alarmglocken zu läuten, kann durchaus Leute an die Urne bringen» – gerade bei einer Initiative, die wie in diesem Fall eher abstrakte Systemfragen behandle.
Sind Inserate ein Eigengoal?
Mit dem Minarett-Motiv wolle das Komitee an den Erfolg der damaligen Initiative anknüpfen. «Die Taktik dahinter ist, ein Thema bedrohlich zu machen, indem man immer wieder darüber spricht», so der Politologe. Das habe bei der Minarett-Initiative, die überraschend angenommen wurde, funktioniert. Nun setze man darauf, diesen Effekt zu wiederholen. Nicht immer funktioniere diese Emotionalisierung: «Die Stimmbürger lassen sich nicht einfach einlullen. Es gibt Grenzen.» Das habe das Egerkinger Komitee bei seiner Kampagne gegen die erleichterte Einbürgerung der dritten Generation merken müssen.
Die Strategie, doch noch auf plakative Motive zu setzen, könne sich als Eigengoal erweisen. «Die Mobilisierung innerhalb der Rechten ist bereits relativ gut. Die Plakate könnten auch die Gegenseite alarmieren und mobilisieren.» Es gebe innerhalb der SVP eine Kontroverse, ob der zurückhaltende oder der aggressive Stil erfolgversprechender sei. «Sollte es eine Niederlage geben, wird sicher Kritik am Abstimmungskampf laut», sagt Hermann.
Populismus von links?
Medien komme im Abstimmungskampf eine besondere Rolle zu. «Gerade 20 Minuten hat mit seiner Reichweite eine besonders grosse Verantwortung», sagt Hermann. «Verlage könnten diesen Hebel durchaus einsetzen und früher eingreifen, indem sie etwa faktisch richtige Argumente verlangen, wenn sie ein politisches Inserat abdrucken.» Im Fall des aktuellen Inserats wurde etwa moniert, dass es am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte mit 47 Mitgliedern zurzeit nur eine türkische Richterin gibt, die zudem nie alleine über Schweizer Fälle entscheiden kann. «Man sieht nun, dass die These von der Verlagerung des Populismus nach links nur sehr eingeschränkt zutrifft», so Hermann.
In ihrer offiziellen Kampagne setzt die SVP auf leise Töne: Models werben mit einem «Ja» für die SBI, auf den Plakaten wird nicht einmal die Partei erwähnt. Dafür hatte der Stil der Gegner für Diskussionen gesorgt: Der «Tages-Anzeiger» schrieb von einem zunehmend schrillen Abstimmungskampf, der Sympathisanten in eine rechtsextreme Ecke stelle.
Kritik gab es auch an einem Kampagnenvideo der Allianz der Zivilgesellschaft, in dem unter anderem die SVP-Nationalräte Roger Köppel und Andreas Glarner in einem trojanischen Pferd stecken und die Abschaffung der Demokratie planen. Den Vorwurf des Populismus müssten sich auch linke Akteure gefallen lassen, sagte Politologe Sandro Lüscher zu 20 Minuten.
Die 20-Minuten-Frontseite sorgte in sozialen Medien für Kritik:

Das meint Tamedia
Marcel Kohler, Geschäftsführer von 20 Minuten, sagt: «Als Medium steht 20 Minuten allen Inserenten offen – auch politischen Parteien. Politische Inserate werden aber immer von unserem Rechtsdienst juristisch beurteilt und freigegeben, wenn sie gesetzeskonform sind. Dass im Abstimmungskampf zum Teil mit harten Bandagen gekämpft wird, gehört zur Politik. Es wäre unzulässig und höchst undemokratisch, wenn 20 Minuten in politischen Debatten Position beziehen würde, indem gewisse Meinungen nicht zugelassen würden. Zudem haben auch die Gegner der SBI am 7. November auf der Front von 20 Minuten (s. Bild) für ihr Anliegen geworben.»
(für grosse Ansicht siehe Bildstrecke)