Skepsis wächstStoppen Politiker jetzt den 5G-Ausbau?
Genf will vorerst keine 5G-Antennen, weitere Kantone könnten folgen. Auch auf nationaler Ebene gibt es Widerstand. Kommt es nun zum Marschhalt?
Die Mobilfunkanbieter drücken bei der 5G-Technologie aufs Gaspedal. Sunrise deckt seit Anfang April 150 Städte und Orte in der Schweiz mit 5G ab, Swisscom will bis Ende Jahr 90 Prozent der Bevölkerung damit versorgen (siehe Box). Das geht vielen zu rasant: Im Kanton Genf wird der Bau von 5G-Antennen vorerst mittels Moratorium gestoppt. Das Kantonsparlament verlangt unabhängige Studien der Weltgesundheitsorganisation WHO.
Auch der Kanton Waadt tritt auf die Bremse: Er prüft einen 5G-Stopp. Über das weitere Vorgehen wird entschieden, wenn der Bericht des Bundes über die Auswirkungen der neuen Technik vorliegt. Die Skepsis in der Westschweiz strahlt nun in andere Kantone aus: Die Grüne Berner Grossrätin Moussia von Wattenwyl will 5G mit einem Vorstoss den Stecker ziehen. Die Grünen des Kantons Zürich diskutieren nächste Woche, wie sie vorgehen wollen.
«Marschhalt ist sinnvoll»
Auf nationaler Ebene wächst der Widerstand ebenso, mehrere Interpellationen zum 5G-Netz sind hängig. Eine davon von SP-Nationalrätin Martina Munz: «Es kursieren viele Fake News zur 5G-Technologie. Wir brauchen verlässliche, wissenschaftliche Daten. Darum ist das Moratorium eine sehr gute politische Lösung.» Ein Marschhalt sei nötig, um offene Fragen zu klären: den Schutz für Mensch und Tier, die möglichst geringe Strahlenbelastung und die Haftung bei allfälligen Schäden. Parteikollege Thomas Hardegger doppelt nach: «Ich überlege mir, ob ich ein Moratorium auf Bundesebene anstreben soll.»
Für FDP-Nationalrat Thierry Burkart wäre das der falsche Weg. Für ihn sind die Strahlengegner fortschrittsfeindlich. «Sie lehnen prinzipiell ab, was sie nicht kennen, verkennen aber die Chancen der Technologie.» Burkart nennt etwa die Robotik oder den automatisierten Verkehr als Anwendungsmöglichkeit. 5G werde bald weltweiter Standard sein, da solle die Schweiz nicht abseits stehen. Die verbreitete Angst und der Ruf nach Studien hält er für übertrieben: «Das Handy, das wir mit uns tragen, strahlt um ein x-Faches stärker als die Antennen.» Und es gebe auch keine Studie, die nachweise, dass 5G eine grössere Gefahr für die Gesundheit sei als beispielsweise Kaffee. Burkart hofft, dass der Bundesrat nun die Strahlen-Grenzwerte etwas hochsetzt: «Die Provider können zwar auch heute 5G anbieten, der Ausbau braucht so aber deutlich länger, weil viel mehr Antennen nötig sind.»
«Kantone sind verpflichtet, 5G zügig umzusetzen»
Die Mobilfunkanbieter reagieren wortkarg auf die jüngste politische Gegenwehr: «Welche Auswirkungen die Entscheide in Waadt und Genf haben, kann ich derzeit nicht sagen. Wir müssen jetzt analysieren, was das für den Ausbau des 5G-Netzes bedeutet», sagt Swisscom-Sprecherin Sabrina Hubacher. Zudem werde geprüft, was allfällige weitere kantonale Moratorien für Konsequenzen hätten. Sunrise-Sprecher Rolf Ziebold sieht die Kantone in der Verantwortung: «Der Bund hat ein rasches Tempo bei 5G vorgegeben und die Frequenzen für den Aufbau und die Vermarktung von 5G vermietet. Die Bundesstellen und die Kantone sind nun in der Pflicht, ihren Beitrag zu leisten, damit das Anliegen des Bundes zügig umgesetzt werden kann.»
«Das ist eine Aufrüstung durch die Hintertür»
Die Swisscom hat bereits an 100 Standorten in 50 Gemeinden ihre Antennen auf 5G umgerüstet. «Sobald wir die Konzession erhalten, werden wir diese einschalten, immer unter Einhaltung der Strahlengrenzwerte», sagt Sprecherin Sabrina Hubacher. Laut Bakom soll die Konzession in den nächsten Wochen erteilt werden. SP-Nationalrat Thomas Hardegger kritisiert: «Das ist eine Aufrüstung durch die Hintertür.» Werde eine bestehende Antenne auf 5G umgerüstet, habe die Bevölkerung oft keine Einsprachemöglichkeit. Die Swisscom bestätigt: Nur wenn sich durch die 5G-Umstellung die visuelle Erscheinung an einem bestehenden Antennenmast ändere, brauche es ein Baugesuch – andernfalls gebe es keine Bewilligungspflicht.
«Momentan herrscht ein Glaubenskrieg»
Bis Mitte 2019 verfasst eine Arbeitsgruppe unter der Leitung des Bundesamts für Umwelt einen Bericht mit Empfehlungen zu Mobilfunk und Strahlung. Der Gruppe gehören Ärzte, Behörden, Mobilfunkanbieter und externe Experten an. Der Bericht soll im Sommer publiziert werden. Die Diskussion müsse endlich versachlicht werden, sagt SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher: «Momentan herrscht ein Glaubenskrieg. Der Bund soll klar aufzeigen, was die Chancen und Risiken dieser Technologie sind.» Sie habe oft das Gefühl, dass 5G als Sündenbock für den Digitalisierungsfrust vieler Leute hinhalten müsse: «Sei es aus Ängsten vor der neuen Technologie oder weil die Technik immer mehr unser Leben bestimmt.»