So erginge es den Bauern ohne Subventionen

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Gojibeeren statt WeizenSo erginge es den Bauern ohne Subventionen

Grössere Betriebe, innovativere Produkte, verwaldete Skigebiete: So sähe eine Schweizer Landwirtschaft ohne staatliche Hilfe aus.

J. Büchi
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J. Büchi
Die Schweizer Bauern sind laut einem aktuellen OECD-Bericht Subventionsweltmeister. In keinem anderen Land werden die Landwirte so stark vom Staat unterstützt. Doch was wäre, wenn die Bauern ohne Steuergelder auskommen müssten?
Wäre eine artgerechte Tierhaltung bei weniger Subventionen für Schweizer Bauern noch möglich? Der Bauernverband glaubt nicht.
Bauernpräsident Markus Ritter ist sich sicher: Ohne Subventionen blieben nur ein paar grosse Betriebe im Mittelland übrig. Was dies bedeute, sehe man in Amerika: «Massentierhaltung, Gentechnik, Monokulturen.»
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Die Schweizer Bauern sind laut einem aktuellen OECD-Bericht Subventionsweltmeister. In keinem anderen Land werden die Landwirte so stark vom Staat unterstützt. Doch was wäre, wenn die Bauern ohne Steuergelder auskommen müssten?

Keystone/Arno Balzarini

Die Bauern stehen einmal mehr unter Beschuss: Der Gewerbeverband kritisiert eine um sich greifende «Selbstbedienungsmentalität» in der Landwirtschaft. Die Gewerkschaftszeitung «Work» stellt in kritischem Tonfall fest: «Die Schweiz vergoldet ihre Bauern». Und für die NZZ ist die Landwirtschaftspolitik «schlicht der Sündenfall der liberalen Schweiz».

Zusätzliche Munition liefert den Kritikern ein neuer OECD-Bericht: Demnach greift die Schweiz ihren Bauern so stark unter die Arme wie kein anderes Land – 60 Prozent der landwirtschaftlichen Einnahmen kommen hierzulande vom Staat. Zum Vergleich: Am anderen Ende der Skala stehen Australien und Neuseeland, wo Bauern unter zwei Prozent ihres Einkommens staatlicher Unterstützung verdanken.

Der Bund liess sich die Landwirtschaft letztes Jahr 3,7 Milliarden kosten, davon waren rund drei Viertel Direktzahlungen. Was würde es für die Schweizer Bauern bedeuten, wenn sie plötzlich nicht mehr auf die Hilfe des Steuerzahlers zählen könnten? Ein Gedankenspiel.

• Selbstfahrende Traktoren statt Familienbetriebe

«Wenn wir eine rein produktionsorientierte Landwirtschaft hätten, gäbe es keine Bergbauern mehr», sagt Bauernpräsident Markus Ritter (CVP). Stattdessen blieben nur ein paar grosse Betriebe im Mittelland übrig. Was dies bedeute, sehe man in Amerika: «Massentierhaltung, Gentechnik, Monokulturen.»

Patrick Dümmler vom liberalen Think Tank Avenir Suisse sagt: «Heute sind die Schweizer Bauernbetriebe flächenmässig eher klein.» Auch er sagt deshalb: Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, müssten mit dem gleichen Kapital grössere Flächen bewirtschaftet werden: «Etwa, indem man die Digitalisierung nutzt und selbstfahrende Traktoren einsetzt.»

• Gojibeeren statt Kartoffeln

Laut Dümmler hätten Bauern noch eine andere Möglichkeit als die Massenproduktion: die Konzentration auf Nischenprodukte. «Spezielle Käsesorten verkaufen sich auch im Ausland gut.» Wer eine Nase für Trends habe und etwa Gojibeeren oder Federkohl anbaue, könne sich ebenfalls von der Konkurrenz abheben. In der Schweiz gebe es eine Käuferschicht, die bereit sei, viel für solche Produkte aus regionalem Anbau zu zahlen, so Dümmler.

Bauernpräsident Ritter erwidert, die Bauern seien schon heute sehr innovativ. Davon zeuge etwa der Agropreis, der jedes Jahr vergeben werde. Mehr Wettbewerb würde aus seiner Sicht aber eher dazu führen, dass Tier- und Umweltschutz litten. «Das sehen wir in den USA: Alles, was nicht giftig ist, gilt als gut genug für den Konsumenten – ob es nun genveränderter Mais oder Chlorpoulets sind.»

• Günstigere Importe aus dem Ausland

Heute sorgen Importzölle dafür, dass die Schweizer Bauern nicht zu stark durch günstige Produkte aus dem Ausland konkurrenziert werden. Dümmler: «Ohne die Zölle könnten die Schweizer Konsumenten beispielsweise Fleisch und Milch viel günstiger einkaufen.» Der Einkaufstourismus über die Grenze würde damit eingedämmt. «Auch die Gastronomie würde von günstigeren Importen profitieren.»

Ritter wehrt sich: «Ohne den Grenzschutz wären die Schweizer Bauern nicht wettbewerbsfähig.» Bei uns fielen nun einmal höhere Personal- und Produktionskosten an als etwa in Osteuropa. Ausserdem hätten die Bauern den Auftrag, die Lebensmittelversorgung in der Schweiz zu sichern. «Wenn wir alle Nahrungsmittel aus dem Ausland importieren, können wir die inländische Produktion im Falle einer Krise nicht einfach wieder hochfahren.»

• Skipisten und Wanderwege verwalden

«Für unsere Direktzahlungen erbringen wir wichtige gemeinschaftliche Leistungen», so Ritter. Dazu gehöre die Landschaftspflege: «Ohne die Bauern würde das ganze Sömmerungsgebiet in den Alpen verwalden oder verbuschen. Das heisst: Es gäbe im Winter keine Skipisten mehr, Wanderer könnten sich nicht mehr an den wunderschönen Blumenwiesen erfreuen.»

Dies bestreitet Dümmler nicht. Die Lösung sieht er in der Schaffung eines neuen Berufsstands: «Sogenannte Bergwirtschafter könnten sich wie Förster um die Natur kümmern.» So könnten sich beispielsweise die heutigen Bergbauern ein neues Einkommen sichern. «Auch wenn diese Leute staatlich angestellt wären, fielen die Kosten für die öffentliche Hand wohl tiefer aus als heute.»

• Verlust von Bräuchen und Traditionen

Eine Abkehr von der heutigen Landwirtschaft würde laut Ritter auch einen Kulturverlust bedeuten. «Die Volksmusik kommt aus der bäuerlichen Kultur, Traditionen wie der Alpabzug oder Viehschauen stiften Identität», so Ritter. Viele Leute hätten Freude an diesen Bräuchen – «so geben wir der Schweizer Bevölkerung sehr viel zurück».

Dümmler räumt ein: «Bei der Landwirtschaftspolitik geht es nicht nur ums Portemonnaie, das ist ein hoch emotionales Thema.» Andere Staaten hätten ihre Traditionen aber auch nicht verloren, nur weil sie weniger für die Landwirtschaft ausgeben. «Schon heute wird der 1.-August-Brunch auf dem Bauernhof mit Sponsoren aus dem Detailhandel durchgeführt, diese innovativen Ansätze gilt es konsequent weiterzuverfolgen.»

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