Sollen Kinder ihren Eltern einen Lohn zahlen?

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Geld für HausarbeitSollen Kinder ihren Eltern einen Lohn zahlen?

Eine Lehrerin will Eltern davon abhalten, kostenlos den Haushalt für ihre Kinder zu schmeissen. Ist das eine familienfeindliche Forderung?

B. Zanni
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B. Zanni

Passanten erzählen, was sie von einem Stundenlohn für die elterliche Hausarbeit halten. (Video: Bettina Zanni)

Mami putzt das Zimmer, Papi zaubert jeden Tag ein Menü auf den Tisch. Selbstverständlich werfen Sohn und Tochter nach der Arbeit auch noch ihre dreckige Wäsche in den Korb, die die Eltern wenig später wieder frisch gebügelt im Schrank versorgen. Solche Haushalte lassen Liselotte Keller aufschreien.

Viele berufstätige Kinder genössen auch nach ihrer Ausbildung und mit gutem Verdienst einen kostenlosen Vollservice zu Hause, schreibt Keller, die Direktvermarktung an der Bäuerinnenschule Strickhof unterrichtet, im «Schweizer Bauer». Da all diese Dienstleistungen mit Arbeits- und Zeitaufwand sowie Kosten verbunden seien, habe die Mutter und Hausfrau Anrecht auf eine angemessene Entschädigung. «Für jede Tochter und jeden Sohn, die voll verdienen, sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, die von der Mutter geleistete Arbeit zu entschädigen und ihr damit Wertschätzung zu zeigen», fordert Keller.

28 Franken Lohn fürs Waschen

Eltern, die für ihre Nesthocker oder auch ausgeflogenen Kinder den Haushalt schmeissen, leisteten viel Fronarbeit. Keller rechnet mit den Richtwerten von Agridea für «Dienstleistungen im Haushalt» vor: Kinder wären ihren Eltern einen Stundenlohn von 28 Franken schuldig, wenn sie acht Kilo Wäsche pro Woche von ihnen waschen und bügeln lassen.

Pro Monat beläuft sich der Lohn für die regelmässige Wäsche auf 118.10 Franken. Miteinbezogen sind sämtliche Kosten pro Waschgang – vom Ankaufspreis für die Waschmaschine über die Stromkosten bis zum Arbeitsaufwand.

«Für jede Tochter und jeden Sohn, die voll verdienen, sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, die von der Mutter geleistete Arbeit zu entschädigen und ihr damit Wertschätzung zu zeigen», fordert Liselotte Keller.
Isabel Garcia, Präsidentin des Vereins Secondas Zürich, spricht hingegen von einer «familienfeindlichen Forderung». «Ist die Mutter etwa eine Angestellte ihres eigenen Kindes?», fragt sie.
Jürgen Feigel, Familientherapeut und Mediator in der Praxis Sinnform, unterstützt einen Haushaltslohn für Eltern. «Sie leisten ja schliesslich mit Einkaufen, Waschen, Kochen oder Putzen eine Arbeit, die entschädigt werden sollte.»
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«Für jede Tochter und jeden Sohn, die voll verdienen, sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, die von der Mutter geleistete Arbeit zu entschädigen und ihr damit Wertschätzung zu zeigen», fordert Liselotte Keller.

Keystone/Christof Schuerpf

«Geld für Netflix und Kleider statt Hausarbeit»

Fast die Hälfte der Schweizer Nesthocker wohnt gratis. Knapp jeder dritte Mann im Hotel Mama zieht das Elternhaus vor, um sich nicht an der Hausarbeit beteiligen zu müssen. Zu diesem Schluss kommt eine repräsentative Umfrage des Online-Vergleichsdienstes Comparis.ch von 2017.

«Ein Teil des Nachwuchses zahlt den Eltern Haushaltsgeld. Es gibt aber auch berufstätige Kinder, die nach der Lehre nichts abgeben müssen», beobachtet Jürgen Feigel, Familientherapeut und Mediator in der Praxis Sinnform. Zahle der voll verdienende Nachwuchs keinen Beitrag, leiste sich dieser oft einen konsumreichen Lebensstandard. «Diese Söhne und Töchter geben ihr Geld für Netflix, Spotify, Kleider, Ausgang und vielleicht noch ein Auto aus.» Dies führt laut Feigel oft zu Konflikten mit den Eltern.

«Ist die Mutter eine Angestellte des Kindes?»

Feigel unterstützt einen Haushaltslohn für Eltern. «Sie leisten ja schliesslich mit Einkaufen, Waschen, Kochen oder Putzen eine Arbeit, die entschädigt werden sollte.» Bereits Lernende sollten einen Beitrag bezahlen. «Zwischen 20 und 100 Franken im ersten Lehrjahr sind angemessen.» Laut Feigel führt die Abgabepflicht dem Nachwuchs vor Augen, dass das Leben kostet. «Man kann nicht alles aufbrauchen.»

Isabel Garcia, Präsidentin des Vereins Secondas Zürich, spricht hingegen von einer «familienfeindlichen Forderung». «Ist die Mutter etwa eine Angestellte ihres eigenen Kindes?», fragt sie. Der Staat könne froh sein, wenn Familienmitglieder einander freiwillig unterstützten. «Das ist gelebte gesellschaftliche Solidarität. All diesen Leuten spreche ich ein grosses Lob aus.»

Mütter könnten auch Nein sagen

Gerade Migrantenfamilien aus südlichen Kulturen sei der Gedanke fremd, die eigene Mutter oder auch den Vater für die Hausarbeit zu bezahlen. «Die Hausarbeit sehen die Eltern und erwachsenen Kinder nicht als zahlbare Dienstleistung, sondern als Ausdruck gegenseitiger Unterstützung», betont Garcia. Die Kinder hälfen den Eltern im Gegenzug etwa bei technischen Angelegenheiten oder setzten sonstige Stärken ein.

Zudem sei die Debatte um eine Entschädigung absurd, da keine Mutter zur Hausarbeit für ihre erwachsenen Kinder gezwungen werden könne. Garcia: «Fühlen sich Mütter ausgenutzt, haben sie die Freiheit, die Hausarbeit zu verweigern oder sie dem Vater zu überlassen.» Ausserdem gebe es viele junge Erwachsene, die keine Toplöhne hätten und froh seien, wenn man sich innerhalb der Familie helfe.

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