Leere Betten«Jetzige Kurzarbeit von Spitälern klingt paradox»
Verschiedene Spitäler beantragten Kurzarbeit, weil das Personal zu wenig Arbeit hat. Das soll vorläufig auch so bleiben.
Das Spitalpersonal leistet in der aktuellen Corona-Krise einen besonders grossen Effort. Um der Masse an Patienten gerecht zu werden, hob der Bundesrat die gesetzlichen Arbeits- und Ruhezeiten des Personals auf. Dennoch drehen einige Ärzte und Pflegende in den Schweizer Spitälern derzeit Däumchen.
Der Bundesratsbeschluss vom 17. März verbietet Spitälern, Kliniken und Arztpraxen alle nicht dringend angezeigten medizinischen Eingriffe und Therapien. Gleichzeitig verzeichnen Rettungsdienstler rund ein Drittel weniger Patienten in den Schweizer Notfallstationen als vor der Pandemie, weil diese aus Angst vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus das Spital meiden.
Auslastung unter 30 Prozent
Verschiedene Spitäler beantragten oder führten deshalb Kurzarbeit ein (siehe Box). Als Grund dafür nennen sie das Verbot der Durchführung von nicht dringlichen Eingriffen. Auch die Spital Thurgau AG beantragte Kurzarbeit. Der ambulante Sektor sei zu 80 Prozent eingebrochen, sagte Geschäftsführer Marc Kohler zu Radio Top. Der stationäre Bereich sei zu 60 bis 70 Prozent leer. Weiter meldete das «halb leere» Kantonsspital Aarau Kurzarbeit an.
Das Kantonsspital Zug habe Kurzarbeit angemeldet, weil das Verbot in verschiedenen Bereichen zu einer markanten Reduktion des Arbeitsvolumens und einem entsprechenden Ertragsausfall führe, heisst es dort. Auch die Hirslanden-Gruppe führte Kurzarbeit ein. In der Klinik Birshof in Münchenstein BL, an der in normalen Zeiten vorwiegend elektive orthopädische Operationen durchgeführt werden, liege die Auslastung meistens unter 30 Prozent, sagt Claude Kaufmann, Sprecher der Hirslanden AG. In der Klinik Hirslanden in Zürich betrage sie noch rund 70 Prozent.
Grosse Welle werde erst erwartet
«Es klingt paradox, dass Spitäler in der jetzigen Situation Kurzarbeit einführen müssen, entspricht aber der Tatsache, dass in der Schweiz zurzeit zahlreiche Spitalbetten leer sind», sagt Claude Kaufmann. Die grosse Covid-19-Patientenwelle werde aber erst erwartet. Laut Kaufmann dürfte der Peak im Tessin bereits erreicht worden sein und in der Romandie bevorstehen. «In der Deutschschweiz rechnen wir erst in einigen Wochen damit.» Wie ausgeprägt der Peak in unterschiedlichen Landesteilen ausfallen werde, sei schwierig zu prognostizieren.
Halb leere Spitäler in Zeiten von stetig steigenden Infektionsraten und Todesfällen sind auch für Gesundheitsökonom Willy Oggier nicht alarmierend. Überkapazitäten seien bei einer Pandemie vernünftig, sagt Oggier. «Das Problem bei einer Pandemie ist, dass man nie weiss, wie viele Betten es am Ende braucht. Lieber sagen wir aber nach der Krise, dass wir zu viele als zu wenige hatten.» Der Blick auf Italien oder Spanien zeige, wie schnell die Spitäler an ihre Grenzen kommen könnten. «Es wäre eine Katastrophe, wenn wir in der Schweiz Ausstellungshallen zu Spitälern umfunktionieren müssten.»
Am Montag und Dienstag flachte die Kurve der Neuansteckungen ab. Während das Bundesamt für Gesundheit (BAG) zuvor täglich über 1000 neue Corona-Fälle gemeldet hatte, kamen noch rund 500 neue Fälle dazu. Bereits Ende März hatte Daniel Koch, Leiter der Abteilung Übertragbare Krankheiten beim BAG, verkündet, dass die schlimmsten Prognosen nicht eingetreten seien. Dennoch gab Koch am Dienstag noch keine Entwarnung. «Das Problem ist bei weitem nicht gelöst», sagte er. «Wir sind maximal in der Hälfte.»
Leere Betten für ausländische Patienten?
Da der Peak noch nicht erreicht wurde, empfiehlt Willy Oggier, weiterhin vorsichtig zu sein. «Man muss davon ausgehen, dass die Situation in der Gesamtschweiz dem Tessin zehn Tage hinterherhinkt.» Dass die Schweizer Spitäler zurzeit noch Überkapazitäten haben, ist zudem nicht pures Glück. Koch bestätigte eine momentane Unterbelegung der Spitäler. Dafür verantwortlich sei aber auch, dass Risikopatienten zum Schutz vor einer Ansteckung zu Hause warteten, bis die Epidemie vorbei sei.
In Frankreich, Italien und Spanien sind die Spitäler dagegen nahe am Kollaps. Ende März nahmen acht Kantone 20 Patienten aus Frankreich auf. Könnten unterbelegte Schweizer Spitäler die Engpässe im Ausland auffangen? Oggier verneint. «Für jeden Staat ist die Aufnahme von ausländischen Patienten extrem schwierig, wenn man nicht weiss, wie viele Plätze man selber braucht.» Das Spitalpersonal könnte in schwierige Dilemmas geraten. «Man kann zum Beispiel nicht zehn Tage einen Patienten aus dem Ausland beatmen und dann die Maschine abstellen, weil sie ein Schweizer Patient dringend benötigt.»
Für Notfälle stehen jedoch auch halb leere Spitäler jederzeit bereit. Die Leute sollten sich aus Angst vor dem Virus nicht mit Notrufen zurückhalten, betonte Daniel Koch am Dienstag wiederholt.
Kurzarbeit öffentliche Spitäler
«Öffentlich-rechtliche Unternehmen haben im Grundsatz keinen Anspruch auf Kurzarbeit», sagt Daniel Wessner, Leiter des Amts für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Thurgau. Er stellt klar, dass keine Kurzarbeitsbewilligung für die Thurgauer Kantonsspitäler erteilt wurde. Damit dementiert er eine Meldung von Radio Top, wonach der Kanton Thurgau der Spital Thurgau AG die Kurzarbeit bewilligt habe. Laut Wessner ist das primäre Ziel der Kurzarbeit, gefährdete Arbeitsplätze von privaten Unternehmen zu erhalten.