«Mehrfache Tierquälerei»Tierrechtler zeigen Pouletmäster an
Nach der Veröffentlichung von Schockbildern aus Schweizer Hühnerfarmen reichen Tierrechtler Strafanzeige gegen fünf Mastbetriebe ein. Der Vorwurf: Tierquälerei.
Tierschützer haben verdeckte Aufnahmen aus Schweizer Hühnerfarmen veröffentlicht. (Video: Tier im Fokus)
Tausende Hühner drängen sich in einer Halle, einige Tiere sehen gerupft aus, neben dem Futtertrog liegen die Überreste eines toten Tieres: Solche Bilder aus fünf Hühnerfarmen in den Kantonen Bern, Freiburg und Waadt hat die Tierrechtsorganisation «Tier im Fokus» veröffentlicht. Deren Präsident Tobias Sennhauser ist schockiert: «In einem Betrieb ist eine Kühltruhe voller Kadaver zu sehen. Ohne tote Hühner funktioniert die Hühnermast nicht.»
Besonders stossend sei die «Täuschung der Konsumenten», da alle Betriebe unter dem Label «BTS – Besonders tierfreundliche Stallhaltung» produzieren würden. «Die Tiere stehen unter Dichtestress, es gibt tote Tiere, und die Hühner können keine soziale Rangordnung herstellen. Massentierhaltung ist alles andere als ‹besonders tierfreundlich›.»
Anzeigen gegen fünf Betriebe
Nach Sichtung der verdeckten Aufnahmen wird nun die Stiftung für das Tier im Recht aktiv und reicht Strafanzeige gegen die fünf Mastbetriebe ein. «Auf den Bildern sind kranke und sterbende Hühner zu sehen, die nicht die nötige Pflege erhalten. Das ist Tierquälerei», sagt Vanessa Gerritsen, die stellvertretende Geschäftsleiterin der Stiftung. Bislang hätten die Industrie und die Behörden geduldet, dass einzelne Tiere vernachlässigt werden. Die Betriebe würden gar noch mit Tierwohl-Beiträgen belohnt.
Mit den Anzeigen wolle man erreichen, dass die Industrie grundsätzlich über die Bücher gehe – zumal sie immer mit glücklichen Hühnern für das Schweizer Fleisch werbe: «Jedes einzelne kranke Tier hat Anspruch auf Pflege. Ist das in so grossen Ställen nicht möglich, muss die Zahl der Tiere reduziert werden.» Auch robustere Sorten seien dringend angezeigt.
2,5 Prozent der Hühner sterben
Laut Tier im Fokus handelt es sich bei drei Betrieben um Produzenten von Micarna. Die Sprecherin des Fleischverarbeiters, Deborah Rutz, weist die Vorwürfe zurück: «Hat Micarna nachweisliche und überprüfbare Beweise, dass Tiere nicht regelkonform gehalten werden, geht das Unternehmen gegen die jeweiligen Produzenten vor. Man habe aber nicht die Möglichkeit, die Aufnahmen zu überprüfen, da die Aktivisten das Rohmaterial nicht online zur Verfügung gestellt hätten.
Falsch ist laut Rutz die Aussage, das BTS-Label sei nicht tierfreundlich: «Das Programm BTS wurde vom Bund mit Tierärzten und Tierfachleuten entwickelt. Die Micarna hält sich strikt an diese Vorgaben oder geht mit ihren eigenen Vorgaben sogar darüber hinaus.» Die Begründung, BTS sei schlecht, weil Tiere sterben, habe nichts mit den Anstrengungen im Bereich des Tierwohls zu tun. «Die Mortalitätsrate bei Hühnern, die bei Micarna unter BTS-Haltung gemästet werden, liegt bei 2,5 Prozent.»
«Dass Tiere verenden, kommt in jeder Tierhaltung vor»
Die Mehrheit der Tiere, die im Rahmen der Mast sterben, tue dies in den ersten paar Tagen, «weil die frisch geschlüpften Küken nicht überlebensfähig sind oder an einer Infektionskrankheit leiden». Rutz verweist darauf, dass alle Pouletmäster mindestens einmal pro Mastzyklus durch das Unternehmen kontrolliert würden. «Gleichzeitig untersteht jeder Betrieb den unabhängigen Kontrollen des jeweiligen kantonalen Veterinäramtes.»
Laut dem Berner Kantonstierarzt Reto Wyss kommt es in jeder Tierhaltung vor, dass Tiere verenden. Das könne nicht allgemein als Tierquälerei eingestuft werden: «Massgebend zur Beurteilung, ob im Betrieb ein Tierschutzverstoss vorliegt, sind die Umstände und insbesondere, ob der Tierhalter eine Schuld an diesen Umständen trägt.» Kritik übt Wyss am Vorgehen der Tierschützer: «Das unsachgemässe Eindringen und Bewegen in Hühnerställen kann zum stressbedingten Verenden von Tieren führen.»
Poulet liegt bei Schweizern im Trend: Der Pro-Kopf-Konsum ist zuletzt stark gestiegen.
Besonders tierfreundliche Stallhaltung BTS
94,1% der einheimischen Mastpoulets werden nach den BTS-Normen gehalten. BTS steht für eine «besonders tierfreundliche Stallhaltung». Vorgeschrieben und mit Subventionen belohnt werden Tageslicht, ein Aussenklimabereich (Wintergarten) und erhöhte Sitzgelegenheiten.